Wenn wir in einem Rechtsstaat leben wollen, dann sollten wir - wohl oder übel - auch in moralisch schwierigen Fällen rechtsstaatlich denken und handeln.
Folterandrohung oder gar Todesstrafe widersprechen dem humanistischen Ideal eines modernen Staates, gewachsen aus der Aufklärung und den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Wer Folter androht oder gar durchführt, handelt nicht mehr nach der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. In gerade diesem Fall zeigt sich aber das Dilemma: Selbst wenn Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner moralisch das Recht und die Sympathien der Bürger auf seiner Seite hatte, so war es faktisch eben nicht so. Ich gebe zu, dass mir Herr Daschner durch sein Verhalten nicht unsympathisch ist, ganz im Gegenteil. Aber mit Blick auf unsere FDGO ist das Verhalten des Herrn Daschner eben nicht zu akzeptieren.
In vielen Willkürstaaten bzw. Polizeistaaten nehmen sich Polizisten und ähnliches Personal das Recht, gegenüber Verdächtigen die Folter anzudrohen bzw. sie anzuwenden. Das passierte nicht nur im nationalsozialistischen Deutschland, sondern auch im Hier und Heute in vielen andern Staaten unserer Welt: Bekannte Beispiele wären Syrien, Iran, Nordkorea. In vielen anderen Staaten haben Verdächtige ebenfalls im "Gewahrsam" der Polizei keine bis wenig Rechte. Manchmal reicht alleine falsche Religion, um den Kandidaten eine zweitklassige Behandlung angedeihen zu lassen. Nein, in einem solchen Staat möchte ich nicht leben. Ich bin froh und dankbar, dass wir in unserem Land als die FDGO als bindende Leitlinie haben.
Ein ganz anderer Aspekt ist die moralische Frage. Ein Straftäter nimmt grausam en Tod eines Kindes in Kauf. Er wird hart behandelt. Der Straftäter beklagt sich über dieses Verhalten ihm gegenüber. Er, der den grausamen Tod eines Kindes zu verantworten hat, verlangt Schmerzensgeld für sein Leid... Der Täter sieht sich als Opfer eines engagierten Ermittlungsbeamten. Er, den Tod eines Kindes auf dem Gewissen hat - er sei das Opfer. Und jener, der alles daran setzt, das Leben eben dieses Kindes zu retten, sei der Täter! Herr Gäfken zeigt selbst nach neun Jahren noch einen Zynismus, der an Dreistigkeit kaum zu überbieten ist. Der feige Kindermörder sieht sich als Opfer! Wo zeigt dieser Mann Reue? Wo zeigt er Respekt gegenüber seinem Opfer und seinen Eltern? Wo zeigt er seinen Respekt gegenüber den Menschen, die versucht hatten, genau diesen Mord, SEINE Untat, noch zu verhindern? Nein, Herr Gäfken ist jener, der hier unmoralisch handelt!
Das gegenwärtige Urteil erscheint auf dem ersten Blick wie eine Ohrfeige für alle Opfer von Gewaltverbrechen und für alle Menschen, die an Recht und Ordnung glauben! Trotzdem ist das der Preis, in einem Rechtsstaat zu leben. Es ist eben dieser Widerspruch zwischen Recht und Moral, was manche Urteile nur schwer verdaulich erscheinen lässt.
Aber was wiegt schwerer? Das Recht? Oder die Moral? Ich muss zähneknirschend den Richtern zustimmen, die die Seite des Rechtes vertreten und gar nicht anders handeln konnten. Hätten sie es getan, dann wäre nämlich IHR Verhalten unmoralisch gewesen!
Froderik