Weil ich Beute machen will
Der Vater ist Jäger "mit einem Hang zur Ökologie", der Sohn ist Tierschützer: In einem Brief
erklärt der Wildbiologe Ulrich Wotschikowsky seinem 18jährigen Sohn Sebastian die Motive seiner
Jagdleidenschaft.
Lieber Sebastian, Dir behagt meine Leidenschaft fürs Jagen nicht, und das treibt mich um. Du sagst: "Die Tiere
müssen ihr Leben haben!" Ich freue mich darüber, wie sehr Du Tiere magst. Ich mag Tiere auch (nebenbei: "Lieben" kann ich
nur Menschen, na ja, und meinen Hund Janosch). Wie kann einer Tiere mögen und sie doch töten?
Als Du noch klein warst und sich bei Dir die ersten Zweifel am Tun vom Papa regten, hast Du mir mal eine
goldene Brücke gebaut: "Gell Papa - Du schießt nur die Kranken und die ganz Alten?" Tu ich nicht, hab' ich
gesagt. Zwar erleichtert es das sündige Herz, wenn das erlegte Tier abgeschliffene Zähne, eine schlecht verheilte
Verletzung oder sonstige Wehwehchen hat, die es ohnehin alsbald das Zeitliche hätten segnen lassen. Aber ich
gehe nicht auf die Jagd, weil ich Tiere vor einem mühseligen Dahinsterben bewahren will. Auch nicht, weil es in den
Wäldern zu viele Rehe und Hirsche gibt. Ich bin Jäger aus vollem Herzen. Ausreden, ich sei Waldsanierer oder
Raubtierersatz oder praktizierender Naturschützer, brauche ich nicht.
"Aber die Tiere müssen ihr Leben haben!" sagtest Du damals. Du warst ein Dreikäsehoch, aber Deine Überzeugung
hat mir zu schaffen gemacht. Inzwischen habe ich diesen Satz immer wieder von den radikalen Jagdgegnern gehört. Ich sage
ihnen, daß Wildtiere, bevor sie durch meine Hand sterben, ein freies Leben gelebt haben - freier als jedes Stück Vieh, das wir
schlachten, freier auch als die meisten Hunde und Katzen, die unsere Lieblinge sind. Ihr Leben währt trotz Jagd länger als das
unserer Kälber, Schweine, Hühner. Die armen Schweine - das sind unsere Haustiere, nicht die Wildtiere, die wir bejagen.
Warum also gehe ich jagen? Weil ich Beute machen will, und weil sich etwas in mir zurücksehnt zum
Ursprünglichen. Was ich glaube, ist dies: Unsere Menschheitsentwicklung über Jahrmillionen als Jäger hat
unweigerlich ihre genetischen Spuren in uns hinterlassen, auch bei uns heutigen Menschen. Und dem entkommen
wir nicht. Mit dem Verstand läßt sich das erklären - aber nicht ausschalten.
Es tut mir einfach gut, Beute zu machen. Wir sind so veranlagt, wir alle: Boris, wenn er dem Tennisball
hinterherhechtet, der eine Schumacher, wenn er den Fußball aus dem Torwinkel angelt, der andere Schumacher, wenn er in
seinem Rennwagen an Damon Hill vorbeizieht. Warum spielst Du gern Volleyball? Komm mir nicht mit "Körperertüchtigung"!
Das wäre, als würde ich Dir erzählen, ich schieße Rehe, damit der verbissene Wald wieder fit wird.
Beute machen, höre ich Dich sagen, kann man ohne zu töten. Stimmt. Es nervt mich selber: Was ist los in einem,
wenn man nach erfolgreicher Jagd - und die ist immer mit dem Tod eines Unschuldigen verbunden - ein Gefühl der
Zufriedenheit, der Gelassenheit, des Mit-sich-selbst-im-Reinen-sein empfindet? Ich habe anderes ausprobiert als
die Jagd, um meinen Jagdinstinkt auszuleben! Ich war Fußballtorwart wie Toni Schumacher (nicht so gut wie der),
spiele Tennis, habe in Sturm-und-Drang-Zeiten auch mal Rennfahrer gespielt (und bin froh, das überlebt zu haben).
Manches davon, etwa das Überholen auf Teufel komm raus, war fehlgeleitet und blödsinnig. Vieles davon ist - verglichen mit
richtigem Jagen - bloß so, als wenn Boris gegen die Ballwand anstatt gegen Agassi spielen würde. "Beute" macht ja auch der
Wildfotograf, "Beute gemacht" habe ich, indem ich Rehe und Hirsche gefangen und markiert habe. Wenn es denn so wäre, wie
uns Jägern vorgehalten wird, daß wir vor allem "besitzen" wollen - ich habe auch das voll ausgelebt. Gewiß hat es mich
befriedigt, ein gutes Motiv im Kasten (Besitz!) oder ein Reh markiert (besessen!) zu haben. Aber es hat mir niemals auch nur
entfernt das vermittelt, was ich erlebte, wenn ich mit Beute von der Jagd heimkam.
Die Jagd hat mich in die Natur geführt, und ohne Natur könnte ich nicht leben. Die "Liebe" zur Natur kam erst
hinterher. Ohne Jagd hätte ich unermeßlich viele Dinge nicht erlebt, wäre ich niemals so reich an Eindrücken,
Erlebnissen, Erkenntnissen geworden. Und ich könnte niemals so engagiert für die Natur und ihre Wildtiere
eintreten, wie ich¹s versuche.
Das Fegefeuer ist mir sicher; aber die Hölle?
Dein Vater