Mein erstes Jagdwochenende im Mai war in einer ganz bestimmten Art und Weise speziell. Seit der Heimfahrt am Sonntag frage ich mich wie ich wohl als Jungjäger war und fühle mich auch ein wenig alt. Was war geschehen? Ich war bei einem ganz alten Freund von mir zur Jagd eingeladen. Das Revier an der Grenze Taunus/Westerwald ist seit drei Generationen in der Hand der Familie, ein herrliches Revier bestehend aus einer Waldeigenjagd und einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk. Ich kenne es seit Kindesbeinen, bin dort schon als Steppke Treiber gewesen und seitdem ich meinen Jugendjagdschein in der Hand hatte mehrere Male im Jahr dort eingeladen.
Auf der Hinfahrt klingelte das Telefon, der Jagdherr war dran. Sein Sohn war daheim vom Obstbaum gefallen, der Arm wohl gebrochen, seine Frau sass mit den anderen beiden Kindern in der Notaufnahme der Unfallchirurgie und lange Rede kurzer Sinn, er müsse jetzt nach Hause. Das Jagdhaus sei offen, gelüftet, der Kühlschrank voll und den Grill müsse man nur noch anzünden. Ich sollte es mir gutgehen lassen; er müsse sehen ob er abends oder erst am nächsten Morgen vorbeischauen könne. Ach, und die Nummer seines Schwagers würde er mir gleich schicken, den habe er auch eingeladen, er sei seit einem Jahr Jungjäger und auch auf dem Weg, ich solle ihn im Ort abholen, er kenne das Jagdhaus nicht und dann könnten wir uns jeweils einen Platz an einer der vielen Käferflächen aussuchen.
Gesagt, getan, nach der Ankunft im Jagdhaus machte ich eine kleine Runde mit dem Hund, richtete mich in einem Schlafzimmer ein, setzte mich dann in den Garten und wartete auf den Schwager. Irgendwann bimmelte das Handy, er sei jetzt im Ort und ob ich ihn abholen könne. Das machte ich auch gleich. Und jetzt geriet ich in ein Geschehen, bei dem ich mich sehr an das Harry G Video zum Jagdscheinabsolventen erinnert fühlte. Am vereinbarten Treffpunkt erwartete mich ein fröhlicher Mitt-40er, gut gelaunt, ein richtig herzlicher Typ, dem ich im weiteren Verlauf auch nie wirklich böse sein konnte. Toll sei das ja hier, herrliche Landschaft, er zum ersten Mal auf der Jagd, richtig aufgeregt sei er und freue sich total, dass das endlich mal zwischen Beruf und Familie klappen würde. Wunderbar, dann konnte es ja losgehen.
Im Jagdhaus angekommen zog sich der Gast erstmal um und erschien kurz darauf ganz in Sitka-Camouflage gekleidet wieder in der urigen Wohnküche. Alleine dieses Bild, dieser komplett camouflierte Mensch in der sehr altmodisch-stilvoll eingerichteten Wohnküche mit antikem Tisch und Bauernmöbeln war ein Kontrast, den man kaum beschrieben bekommt. Ob er mich etwas fragen könne, er wisse nicht welche Munition er verwenden solle. Der Verkäufer im Geschäft haben ihm diese empfohlen, sprach‘s und legte drei verschiedene, ungeöffnete Packungen auf den Tisch. Bei mir machte noch gar nichts Klick. Ich fragte ganz naiv auf welche Laborierung die Waffe denn eingeschossen sei, oder ob sie mit allem den gleichen Treffpunkt habe. Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht mit der Antwort, dass er das nicht wisse, weil er die Waffe noch nie benutzt habe, er sei ja das erste Mal auf der Jagd. Ich war platt. Nun gut, dann also ein Probeschuss. Das wurde in diesem Revier seid ja und Tag am gleichen Platz gemacht, weitab vom Wald, weitab von den Einständen. Zeit war noch genug, also eine Packung Munition und das Futteral geschnappt, und nichts wie raus. Am Platz angekommen klappte das Einschießen erstaunlich schnell, die Waffe – das volle Programm mit teurem Glas, Schalldämpfer, Lochschaft usw. – schoss hervorragend und der Eigentümer hatte mit dem Modell auch die Prüfung geschossen, er beherrschte die Waffe wirklich ganz gut.
Dann zum Jagdhaus, schnell Brotzeit und daraufhin raus in den Wald. Auf dem Weg in den Wald stand bereits Rotwild in einer großen Käferfläche. Ich hielt an und wir spekulierten aus dem Auto heraus. Für mich selbst ist Rotwild auch kein ganz alltäglicher Anblick, insofern genoss ich den Moment und beobachtete durchs Glas das in der Sonne vertraut äsende Wild, zwei Alttiere. Mein Beifahrer meldete zwischendurch die von ihm durchs Glas gemessene Entfernung, dass in der Wärmebildkamera weiter hinten – und für mich durchs Glas nicht sichtbar – noch zwei Stück zu sehen seien und war wirklich sehr interessiert. Und dann kam die Frage ob es nicht Sinn machen würde zu warten ,ob hier nicht ein passender Bock dabei sei. Wieder erwischte er mich kalt und unvorbereitet. Ich flüsterte ihm zu, dass es sich um Rotwild handele, war mir durch sein Schweigen aber nicht sicher, ob diese Botschaft ankam und falls ja, wie sie verarbeitet wurde.
In jedem Fall hatte meinen Beifahrer das Jagdfieber bereits gepackt. Während er immer aufgeregt, aber konzentriert beobachtete, begann ich darüber nachzudenken, ob der Plan ihn auf sich selbst gestellt auf eine Kanzel in der Nähe zu setzen und mich selbst auf einer anderen zu platzieren, wirklich zu verantworten war. Rotwild-Rehwild, Schwarzwild führend oder nicht; Szenarien die mir jetzt auf einmal problematischer vorkamen als noch drei Stunden zuvor. Ich entschied mich also kurzerhand um. Der Jagdherr hatte in den letzten zwei Jahren an jedes Käferloch eine Kanzel gestellt die zwei Personen Platz bot. Also die nächste Fläche angefahren, das Auto abgestellt, zum Sitz gepirscht und aufgebaumt. Ein wirklich wunderbarer Abend begann. Es regnete zwischenzeitlich mal 20 Minuten und danach dampfte der Wald in der untergehenden Sonne und das erste Wild erschien auch auf der etwa fünf Hektar großen Fläche. Zunächst kam eine Ricke in Anblick die vor uns im Bewuchs ihr Kitz abholte, später dann ein Fuchs, weiter oben zog ein einzelnes Alttier durch (Unterschied Rotalttier – Ricke jetzt direkt zu sehen und auch verstanden! „Ach, dann war das vorhin ja auch Rotwild!“ ), die Vögel sangen, vor uns an einem toten Stamm war der Schwarzspecht zugange. Es war alles perfekt. Ich war auch recht entspannt, bis mein Nebenmann durch die Wärmebildkamera auf seiner Seite Wild direkt neben dem Sitz erspäht hatte. Er war unsicher was es war, ich musste den Hintern lupfen um überhaupt etwas sehen zu können. Zwanzig Meter neben uns äste ein Jährlingsböckchen, ein zeigefingerlanger Spieß und ein etwa zentimeterlanger Knopf. Kurz gesagt, in jeder Dioktrin absolut passend. Meine Münsterländerin unterm Sitz hatte das Rehlein auch in der Nase, lag zitternd aber immerhin still unterm Sitz und so warteten wir bis der Bock in die Fläche vor uns gewechselt war und sich breitstehend präsentierte. Der Mann neben mir bebte am ganzen Körper. Mir wurde es ganz Angst und Bange. Ich ordnete noch eine Leiste so an, dass er den Ellbogen auflegen konnte und gab ihm leise Tipps. Der Schütze brauchte ein wenig Zeit um sich zu beruhigen, aber irgendwann kam ein geflüstertes „Ich glaub, jetzt geht’s…“ Na bitte sehr, nur zu. RUMMS, war der Schuss draußen, das Böcklein zeichnete mit einem riesigen Satz und Auskeilen der Hinterläufe, gefolgt von einer wilden Flucht in die Brombeeren. Der Gast schaute mich entgeistert an. „Vorbei! Das gibt’s doch nicht!“ Ich beruhigte ihn, der dürfte schon liegen, das sei normal und merkte, dass dem Schützen das völlig abwegig erschien. Am Anschuss, 50 Meter vor dem Sitz fanden wir schnell Lungenschweiß und bereits die erste dicke Brombeere zwanzig Meter weiter hat die Todesflucht beendet.
Nach ein paar Fotos (volles Programm an Brüchen, wenn schon lernen, dann nutzen wir auch jede Gelegenheit), zogen wir das Stück zusammen raus und brachten es zum Jagdhaus. Dort in der Wildkammer hängten wir es auf und nun ging es dem Gast ums Aufbrechen. Etwas ratlos stand er mit seinem bis dato unbenutzten Messer da, schaute ratlos, lehnte aber auch mein Angebot ab für ihn aufzubrechen. Zusammen wurde das Stück dann aufgebrochen und das ging auch erstaunlich gut. Irgendwann während des Aufbrechens langte der Gast ins Gescheide, wühlte ein bissl und zog dann die Leber heraus. Mit großen Augen hielt er sie mir unter die Nase. „Ist das etwa die Leber? Mensch, muss die beschaut werden? Muss die abhängen?“ Ich, zum wiederholten Mal an diesem Tag verwirrt, beantwortete alles und lernte dann einen neuen Aspekt meines Mitjägers kennen, den des Hobbykochs. Als ich nach dem Saubermachen und meiner Hunderunde zurückkam, roch das ganze Haus nach Bratkartoffeln, Leber, Zwiebeln und Äpfeln und wir ließen uns es schmecken.
Der Rest des Wochenendes wurde der Jungjäger dann vom Jagdherren geführt und weitergebildet, der mir dann nach meiner Abreise noch eine Whatsapp seines Schwagers weiterleitete. „Oh Gott, oh Gott, der [Steve] hat mich glaube ich für einen totalen Vollidioten gehalten!“ Punktuell mag das vielleicht zugetroffen haben, aber summa summarum war ich eigentlich nur der unbedarften Herangehensweise eine totalen Frischlings nicht ganz gewachsen und musste mich selbst erst passen justieren.