Ich kenne dieses Gebiet nicht, aber man sollte den Einfallsreichtum der Wilderer nicht unterschätzen. Nicht selten sind diese Leute auch deutlich besser vorbereitet, als man sich das vorstellt, gerade wenn es um Wilderei im alpinen und hochalpinen Gelände geht. Und nicht selten sind es natürlich Leute aus der Gegend, die sich dort bestens auskennen, und manchmal sind es leider auch Jäger oder ehemalige Jäger, die der Wilderei frönen. Mir sind verschiedene Fälle bekannt, bei denen es den starken Verdacht gab, dass eine bestimmte Person wildert. Trotzdem dauerte es in den meisten Fällen Jahre, bis (einige von denen) irgendwann mal erwischt wurden.Die Steinbockbereiche im Sulztal sind ausgesprochen hochalpin, die Zustiege sind begrenzt, bekannt und einsehbar. Da treibt sich zwischen dem 20.10. und dem 07.11. kaum jemand ungesehen rum, der mal so eben ein Steinbockhaupt mitnimmt. Der Unbedarfte müsste an der Amberger Hütte und den Hirten/ Jagdaufsehern vorbei, mit seinem Bündel und würde mit großer Sicherheit entdeckt.
Und gerade wenn ein Gebiet gut einsehbar ist, hat das auch Vorteile für Wilderer, zumindest wenn sie zu zweit agieren. Der eine sitzt mit dem Fernrohr auf der anderen Talseite und kann den anderen informieren, wo der Steinbock steht, wo der Hirt gerade zugange ist oder aber halt auch warnen, wenn der Jagdaufseher irgendwo auftauchen sollte. Wie gesagt, keine Ahnung, ob das hier der Fall war, das ist jetzt (bezogen auf den vorliegenden Fall) natürlich nur Spekulation.
Weiter sollte man aber auch nicht unbedingt erwarten, dass ein Wilderer nur in der Dämmerung in Tarnkleidung durch die Gegend streift. Manche tarnen sich wohl dadurch, indem sie bekleidet mit neongrünen Leggins, rotem T-Shirt, riesigem Rucksack und Wanderstöcken einen harmlosen Bergwanderer auf der Durchreise markieren. Man sieht am Abend beim Eindämmern durch das Spektiv vielleicht noch, wie dieser bunte Vogel irgendwo den Schlafsack ausrollt, aber wie er dann früh am Morgen aus dem Schlafsack kriecht und ein Kipplaufgewehr zusammenbaut, das sieht dann halt meistens niemand.
Wer sich mit der Materie etwas näher auseinander setzen möchte, dem empfehle ich folgende Lektüre: Der Wilderer im Nationalpark, Ernst Eberhöfer (Gibt auch eine Webseite vom Autor und Ex-Wilderer: https://www.wilderer.info/bilder-buch/).
Um diesen Vögeln beizukommen, sollte man wissen, wie sie ticken.