Das kuschelige Hundebett ist verwaist, die beiden kleinen Katzenwelpen auf dem Sofa schmiegen sich noch enger aneinander, seit ihr Kumpel Chico tot ist. An ihm haben sie sich immer gewärmt, haben in seiner Kniebeuge geschlafen. Ein Jäger hat Chico bei Rottweil am Halloween-Abend erschossen (siehe Eingangspostings).
Die drei Kinder der Familie Tingler sind entsetzt. „Warum?“ steht auf einem Pappschild, das die Tochter gemalt hat. Der Jüngste, 13 Jahre alt, ist seitdem kaum ansprechbar. Er weinte die ganze erste Nacht und konnte auch in den folgenden Nächten kaum schlafen.
Gabi Tingler war am Nachmittag des 31. Oktober mit Chico, ihrer Schwester, deren Hund und ihrer achtjährigen Nichte im Wald spazieren. Ihre Autos hatten sie auf dem Parkplatz für den Trimm-Dich-Pfad beim Bettlinsbad abgestellt, sind aber einen anderen Weg entlang gegangen. „Auf dem Trimm-Pfad sind viele Jogger unterwegs und dort herrscht Leinenpflicht, deshalb haben wir immer eine anderen Strecke genommen, damit der Hund auf dem Weg frei laufen kann.“
An dem Nachmittag zog plötzlich Nebel auf, die beiden Frauen beratschlagten, ob sie nicht umkehren sollten, denn es wurde ihnen unheimlich, zumal sie Schritte im Wald hörten „Das war kein Jogger, das klang ganz anders.“ In dem Moment trottete Chico ein paar Meter in einen zugewucherten Rückepfad hinein. „Wir riefen den Hund laut zu uns und weil ich ihn wegen des dichten Nebels nicht sehen konnte, pfiff ich nach ihm“, sagt Gabi Tingler. „Gleichzeitig hörte ich einen Schuss. Er muss ganz in der Nähe gewesen sein, denn mir taten die Ohren weh.“
Die Frauen riefen weiter nach dem Hund, Gabi Tingler pfiff weiter auf zwei Fingern nach ihm, ein Zeichen, auf das Chico immer sofort reagierte.
Um den Tod des Hundes gibt es viele Ungereimtheiten. Der Jäger sagt der Polizei und Medienberichten zufolge, er sei auf der Suche nach einem verletzten Rehwild gewesen, und zwar einige hundert Meter entfernt von der Hundehalterin. Als dabei ein Reh und sein Kitz aufgetaucht seien und dann auch noch der Hund, habe er einen Warnschuss abgegeben, um den Hund vom Wildern abzuhalten. Mangels Reaktion des Hundes sei dann ein gezielter Schuss auf den Hund erfolgt, und das sei gesetzlich so erlaubt.
Unmittelbar nach dem Tod ihres Hundes hatte Familie Tingler Flugblätter aufgehängt, in denen Spaziergänger drastisch vor Schüssen im Bereich Bettlinsbad gewarnt wurde. „Morgen könnte es ihr Kind sein, das erschossen wird!“ hieß es auf den Zetteln, die längst nicht mehr hängen. Die Formulierungen auf dem Flugblatt sah der Anwalt des Jägers Medienberichten zufolge allerdings als „ehrverletztend, unwahr und strafbar“ an, mit solchen Anprangerungen würden Emotionen maßlos geschürt. Er war am Freitag telefonisch aber nicht zu erreichen.
„Das ist vielleicht falsch rübergekommen“, sagt Gabi Tingler, „aber wir zitterten alle vor Angst. Der Schuss so dicht neben uns im Nebel war wirklich gefährlich.“ Dass ihr Hund gewildert haben soll, kann sich Gabi Tingler nicht vorstellen: „Er hatte Angst vor Rehen, als wir mal in einem Wildgehege waren, hatte er sich hinter mir versteckt.“ Auch fremden Katzen sei er nicht hinterhergejagt, mit den Hasen der Tochter habe er sich verstanden.
Dabei habe es mehrere Schüsse gegeben, sagt Gabi Tingler. Zwischen ihnen seien rund 15 Minuten vergangen. Ihre Schwägerin kann dies bezeugen und außerdem seien zu dieser Zeit mehrere Jogger in dem Waldstück unterwegs gewesen. Sie hat sie mit Zetteln gesucht, einer hat sich inzwischen als Zeuge bei der Polizei gemeldet.
Auch ihr Mann Rolf Tingler, der noch an dem Abend und an den folgenden Tagen immer wieder hingefahren ist, hat sich die Stelle genau angesehen. „In den Bäumen habe ich noch Einschüsse von zwei Patronen gefunden“, sagt er. Die Polizei ist noch dabei, den Tathergang zu rekonstruieren. Die Tinglers haben Anzeige wegen Verstoßes gegen das Landesjagdgesetz und wegen Sachbeschädigung gestellt. „Die Schilderungen beider Seiten zum Tathergang sind sehr konträr“, sagt Polizeisprecher Ulrich Effenberger.
„Wenn Chico gejagt hätte, wäre der Hund meiner Schwester doch sicher mitgekommen“ sagt Gabi Tingler und ihr Mann erklärt: „Wir haben die blutigen Spuren unseres Hundes im Schnee gefunden, aber keine von einem Reh.“
Bevor der Schnee schmolz hatte er alle Beweise fotografiert, seit einer Woche lenkt sich Familie Tingler mit Recherchen ab. „Wir wollen wissen, was wirklich passiert ist.“
„Beim Jagdamt wurde mir gesagt, mein Hund sei nicht gut erzogen gewesen, sonst hätte er sich beim ersten Schuss hingesetzt“ (??), so Gabi Tingler. Doch Chico war ein Familienhund und kein Jagdhund, der weiß, wie er sich zu verhalten hat, wenn geschossen wird.
„Er hatte sich Silvester vor Angst in die letzte Ecke verkrochen.“ Sie ist sich sicher, dass er in Panik weiter in den Wald gelaufen ist, wo ihn der Jäger dann erschossen hatte – ganz in der Nähe des Trimm-Dich-Pfads.
Außerdem, so die Tinglers, gebe es mehrere Zeugen, denen der Jäger gesagt habe, er hätte versehentlich einen Hund erschossen, weil er ihn für ein Reh gehalten habe.
Rolf Tingler trägt seitdem immer eine Warnweste, wenn er in der Dämmerung in den Wald geht. „Ich bin kein Reh“, hat er auf den Rücken geschrieben.
„Unserem Hund können wir nicht mehr helfen“, sagt Gabi Tingler, „aber ich habe immer das Gefühl, er hätte auch einen von uns treffen können.“