Nachdem die Jagd die letzten Jahre unter dem Hausbau gelitten hat, leidet sie jetzt unter dem Besuch der Fachschule, die ich seit September besuche. Die aktuelle Prüfungswelle neigt sich dem Ende zu und für heute steht ein relativ entspannter Tag an.
Als kleine Belohnung für die Entbehrungen der letzten Wochen hatte ich deshalb gestern Abend beschlossen heute morgen in einem Bereich des Reviers zu pirschen, in dem seit Jahren wenig bis gar nicht gejagt wird.
Zum Verständnis für diesen Umstand sei gesagt, dass wir um und in einer Kleinstadt jagen. Das Revier ist herrlich strukturiert und beinhaltet drei Täler unterschiedlicher Bäche. Das heutige Ziel ist ein Talabschnitt, der ein sehr enger Schlauch mit kleinen Wiesen, hohem Besucherverkehr und viel Deckung fürs Wild ist. Die einzige Möglichkeit hier erfolgreich zu sein ist die morgentliche Pirsch.
Wir haben mehrere solcher Stellen und in meiner Fantasie steht in jedem Einstand ein alter knorriger Bock, der noch nie einen Jäger gesehen hat.
Dermaßen beflügelt klingelte um 0300 der Wecker. Zum Leidwesen meiner Frau hatte ich vergessen ihn auf Vibration zu stellen und so wurde sie mit mir aus dem Schlaf gerissen.
Mit sehr deutlichen Worten wurde mir dann erklärt, dass es unter der Woche ist und sie einen langen Arbeitstag vor sich hat. Während ich mich beschwichtigend entschuldigte musste ich innerlich grinsen. Jedes mal wenn es wegen der Jagd Stunk gab, hatte ich im Anschluss Waidmannsheil
Da noch reichlich Zeit war, habe ich in aller Ruhe zwei Kaffee getrunken und dabei den tollen Bergpirsch-Thread von @Doc Holiday verschlungen. Vielen Dank an dieser Stelle für die tollen Impressionen!
Meine Jagdmöglichkeit könnte nicht gegensätzlicher sein. Dennoch liebe ich das Revier. Es ist meine Heimat und mein Lebensmittelpunkt. Und auch in einer Kleinstadt gibt es Ecken, die sehr heimlich und jagdlich reizvoll sind.
Im Revier angekommen begrüßt mich ein abziehendes Gewitter. Das Stimmung is surreal. Das erste Licht des Tages und die Blitze ergeben eine einmalige Kulisse. Es riecht nach Regen, Brennesseln, Minze und Sommer.
Ich stehe noch am Auto, ziehe die Schuhe aus, lade meine Waffe und lasse das Wärmebildgerät mit Absicht im Auto. Wo die Technik für Schwarz- und Raubwild ein Segen ist verdirbt sie die Rehwildpirsch. Wenn ich im dichten Bewuchs auf ein Stück auflaufe dann ist es eben so. Wir jagen mit Lust auf Reh und nicht mit Stress.
Noch kann ich keine Farben erkennen und es geht mit leisen Schritten langsam voran. Bis zur ersten Wiese sind es noch 600m. Der Boden ist nass und kühl. Immer wieder steige ich auf eine Nacktschnecke. Man gewöhnt sich an das Gefühl. Meine Gedanken befassen sich mit dem Ziel des heutigen Ausflugs. Eigentlich möchte ich nur erfahren ob und was für ein Bock hier seinen Einstand hat. Wenn ich nichts sehe ist es aber auch kein Beinbruch. Das Wetter und die Tatsache endlich wieder mal rauszukommen reichen mir vollkommen. Ein Waidmannsheil wäre da eigentlich nur eine schöne Beigabe.
Die Wiese liegt hinter einer Rechtskurve. Langsam, sehr langsam und alles abglasend gehe ich rechts des Schotterweges herum. Es ist jetzt so hell, dass man die unterschiedlichen Grüntöne erahnen kann.
Ich denke schon an die Wiese dahinter als ich hinter einer kleinen Erhöhung die Enden zweier Stangen ausmache! Die Entfernung zwischen dem Bock und mir beträgt keine 25 Schritt.
Mein Herzschlag beschleunigt sich. Ich baue das Dreibein langsam und lautlos auf, merke aber, dass es mich mehr stört als nützt. Ich muss einen anderen Winkel finden, um den Bock in Gänze zu sehen. Das Stück hat mich noch nicht mitbekommen. Bloß keinen Fehler machen!
Mit angespannten Muskeln bewege ich mich weiter. Zentimeter für Zentimeter. Der Bock tut mir den Gefallen und zieht seinerseits zwei Meter weiter und endlich kann ich ihn ansprechen. Ein mittelalter Spießer mit einer schwachen Gabel auf der einen Seite. Zwar nicht der alte knorrige Haudegen aus meinen Träumen, aber er passt sehr gut und alles fühlt sich richtig an.
Der rote Punkt des Absehens steht kurz hinter dem Schulterblatt. Als ob der Bock es ahnt äugt er zu mir herüber. Ich bin der erste und einzige Jäger, den er zu Gesicht bekommen hat.
Der Schuss bricht die morgentliche Idylle. Der Bock lag nicht im Feuer aber ich bin mir gewiss gut abgekommen zu sein. Ich gebe ihm und mir ein wenig Zeit.
Seit ich denken kann dreht sich alles um die Jagd. Eine erblich bedingte Krankheit sozusagen. Und dennoch schüttet eine so spannende Pirsch so viel positive Gefühle aus, dass mein Herz rast. Falls das irgendwann nicht mehr so ist hänge ich die Flinte an den Nagel.
Am Anschuss Lungenscheiß und eine rote Fährte, die nach 30 Metern an meinem Bock endet. Ich danke Diana für dieses Elebnis. Der Ausgang dieser Pirsch ist mehr als ich erhofft hatte.
Ab jetzt ist alles Routine. Bergen, aufbrechen, Kühlung.
Auf dem Weg nach Hause halte ich noch an einer Kleewiese mit Kamille, Mohn und wildem Weizen. Ein Strauß für meine Partnerin, die schon oft auf Schlaf verzichten musste ohne selbst etwas davon zu haben.
Zuhause angekommen wird die Botschaft verstanden und ich bekomme sogar frischen Kaffee gemacht.
Bei so einem Start in den Tag kann der Unterricht nur gut werden