Dazu hier noch eine kleiner, etwas älterer Artikel, der aber immer noch ziemlich aktuell sein dürfte.
Frankfurter Rundschau 7. März. 2002
Demotivation, Mangelwirtschaft und Abrücken von der militärischen und
politischen Führung
Aus dem Jahresbericht 2001 über den Zustand der Bundeswehr
Eine allgemeine Ernüchterung, vor allem wegen der nicht einge haltenen
Versprechungen zur Steigerung der Attraktivität des Soldatenberufs, war überall
deutlich zu spüren. Kommandeure und Chefs bemühen sich zwar um Loyalität,
befinden sich aber häufig in einem Erklärungsnotstand und fühlen sich allein
gelassen. "Bevor wir der Truppe die Wahrheit sagen, informieren wir lieber gar
nicht." Die Zurückhaltung der "Generalität" wird zunehmend unverhohlen
kritisiert. Es wird nicht verstanden, warum der militärische Sachverstand nicht
erkennbar in den politischen Entscheidungs prozess eingebracht wird. Es ist
tiefes Unverständnis spürbar über den "Wildwuchs" von externem Sachverstand zur
Umsetzung der "Neuausrichtung der Bundeswehr von Grund auf'. Die Truppe steht
nicht mehr vorbehaltlos hinter der militärischen Führung. Geglaub t wird dem
Führer, der durch seine persönliche Präsenz vor Ort "greifbar für die Männer"
ist. Der politischen Leitung wird mit starken Vorbehalten begegnet. Nach den
Einsatzentscheidungen für die "Enduring Freedom" und "ISAF" konzentrieren sich
die Erwartungen auf den Bundeskanzler, da man von ihm jetzt die notwendige
finanzielle Unterfütterung der Bundeswehr erwartet.
2 Führungssituation
In Verbänden mit gefestigter Struktur, dis von Auflösungen nicht betroffen sind,
ist die Welt noch weitgehend in Or dnung. Es gibt aber erste Anzeichen, dass
Unterführer ihren Chefs und Kommandeuren unterstellen, nicht mehr mit ganzem
Herzen vor ihren Einheiten und Verbänden zu stehen. Als Vorwurf wird erhoben,
einige Führer würden den teilweise frustrierenden und wenig attraktiven Dienst
an der "Heimatfront" zu bereitwillig für eine "interessante Stabsstelle" im
Einsatz eintauschen. Soldaten in den zurückbleibenden Verbänden und Einheiten
haben ein feines Gespür, wer sich aus Karrieregründen in den Einsatz "abseilt".
Mit Sorge beobachte ich eine rückläufige Bereitschaft, Handlungsspielräume der
mittleren und unteren Führungsebene zu vergrößern und den Führern vor Ort "Leine
zu geben". Hierbei spielen die modernen Kommunikationsmittel eine fatale Rolle.
Unter Missachtung der Führungsebenen werden Weisungen/Abfragen bis ganz nach
unten durchgeschoben. Damit wird Führung auf der entsprechenden
Verantwortungsebene und eine sachgerechte Auswertung des Auftrages, die durchaus
zu einem begründeten "Nein" führen könnte, behindert . Häufig ist die "Absicht
der übergeordneten Führung" nicht mehr erkennbar, die "Wesentliche eigene
Leistung" bleibt damit unklar.
2.1 Auftragslage
Meine Feststellungen aus dem letzten Jahr zur Überlastung der Truppe, die sich
aus ständigen Planungsänderungen, enger Terminsetzung, kurzfristigen und oft
kaum erklärten personellen und materiellen Auflagen sowie unverändert
bürokratischen Abläufen begründet, haben sich mit gestiegener Tendenz bestätigt.
2.2 Führungsverhalten
Es gibt vereinzelt Defizite im Führungsverhalten. Soldaten sagen aus, dass
Kommandeure zunehmend rücksichtsloser führen, um ihre Aufträge zu erfüllen, aber
auch um ihre Karriere nicht zu gefährden. Die Feststellung "Wir jungen Offiziere
werden wie dumme Jungen behandelt, man hat n icht das Gefühl, Mitarbeiter in
einem Team zu sein, sondern Handlanger" beschreibt eine zunehmend kritische
Einschätzung dieser Situation. Die "Sprüche" vorgesetzter höherer Offiziere wie:
"Nicht maulen, erst mal den eigenen Laden kehren" oder: "Sie müssen pfiffige
Ideen entwickeln", werden mit Ironie zur Kenntnis genommen und wie folgt
kommentiert: "Auf Fragen erhält man keine substanziellen Antworten, sondern nur
noch ,politisches Gelaber'." Die Truppe will persönliche Führung erleben: "Wir
brauchen keine leistungsbezogene Besoldung, sondern als Lob die Hand des
Vorgesetzten auf der Schulter." Sorge bereitet mir, dass studierte Zeitoffiziere
mit einer entsprechend attraktiven Eintrittskarte in das zivile Berufsleben
zunehmend unverblümt im Kameradenkreis u nd gegenüber Untergebenen die aus ihrer
Sicht mangelnde Perspektive bei der Bundeswehr aufzeigen. Etwas ratlose
Unteroffiziere hinterfragen dann, ob das "alles so richtig" sein könne, und
fordern ebenfalls für ihre Dienstgradgruppe eine entsprechend höherw ertige
Qualifizierung für die Zeit nach der Bundeswehr. Beklagt wird die fehlende
Bereitschaft der militärischen Führung, sich gegen die mangelnde Flexibilität
und "unanständigen Zumutungen" der "Verwaltung" zu wehren. So seien z. B. die im
VMBI 1988 erfassten "Schwerwiegenden Gründe", die der Versetzung eines Soldaten
entgegenstehen, zu eng gefasst. Einhellig fordern die Dienstgrade eine
Überarbeitung der Erlasse im Sinne der Soldaten. Öfter mal "Nein" zu sagen und
den Kampf mit der Verwaltung und ihrer Bü rokratie aufzunehmen, wird zunehmend
häufiger von den Vorgesetzten erwartet.
2.3 Information
Das große Bemühen des Dienstherrn, umfassend und schnell zu informieren, wird
allgemein anerkannt. Es besteht jedoch in der Truppe teilweise ein
Ungleichgewicht zwischen einem Informationsüberangebot auf der einen Seite und
einem Mangel an konkreter Information auf der anderen. Bei einem Überfluss an
Information wird die Darstellung eines "Gesamtbildes" und die persönliche
Stellungnahme des Vorgesetzten erforde rlich und auch erwartet. Seine direkte
"Ansage" vor der Front ist immer noch die wirkungsvollste Form der
Informationsvermittlung. Dies geschieht zunehmend nicht mehr. Ein Mangel an
Information wird auch von Dienstgraden hart kritisiert, andererseits stell e ich
häufig eine zu geringe Bereitschaft fest, den "Kampf um Information" zu führen.
Die Hinweise, dass Informationen auch abgeholt werden [..]en und dass
lebenslanges Lernen auch zu den Qualitätsmerkmalen eines Soldaten gehört, können
nicht häufig genug gegeben werden. Informieren - als Führungsaufgabe aller
Ebenen - sollte daher mit Nachdruck in der Führerausbildung deutlich gemacht
werden. An die technischen Produkte des Info -Managements wird als Messlatte der
freie Markt gelegt. "Info Magazin" und "Inf o Forum" werden selten gesehen,
während das Magazin "Y." angenommen wird. "Y. informiert in kleinen Häppchen und
gut verständlich." Mit Unverständnis registrieren die Männer
Kommunikationsschwächen. "Mich hat betroffen gemacht, dass wir, die wir im
Einsatz waren, von der Auflösung des Bataillons aus der Zeitung erfahren haben.
Der Brigadekommandeur, der auch vor Ort war, hielt es nicht für nötig, uns
persönlich zu informieren." Von einem Vorgesetzten wird erwartet, dass er die
Zeit und den Mut aufbringt, derartige Entscheidungen "Auge in Auge" bekannt zu
geben. Ein allgemeines Thema bei der Marine sind die Defizite bei der
Informationsgewinnung an Bord. Fernsehen gibt es nur in Küstennähe und Intranet
häufig überhaupt nicht.
2.4 Personelle Rahmenbedingungen
Kurze Stehzeiten der Offiziere in Führungsverwendungen werden allgemein beklagt.
"Unser letzter Chef war nur ganz kurz hier. Man hat das Gefühl, dass der sich
gar nicht mit der Einheit identifiziert hat und den Posten nur für seine
Karriere brauchte." Dieses Problem ist aber weniger auf den Kompaniechef
beschränkt, sondern betrifft eher die Kommandeure. Chefs und Offiziere werden
zuhäufig als "Demotivationsträger und Durchlauferhitzer" betrachtet - nach dem
Motto: "Die Suppe, die ich einbrocke, muss ic h selbst nicht mehr auslöffeln."
0e zunehmende Unzufriedenheit ist deutlich bei den älteren Soldaten
festzustellen. Diese Personengruppe droht positiver Werbeträger für die
Streitkräfte wegzurutschen. "Der Dienstherr hat den Arbeitsvertrag bereits
mehrfach einseitig abgeändert. Als ich Berufssoldat geworden bin, habe ich auch
meine finanzielle Lebensplanung daran ausgerichtet. Und jetzt kann es passieren,
dass man nach 35 Dienstjahren angeschrieben wird und den
,Zurruhesetzungsvorschlag' erhält. Das ist do ch die Rote Karte." Mehrheitlich
wird ein Antragsverfahren im Rahmen des Personalanpassungsgesetzes befürwortet.
Das sei auch psychologisch günstiger als der subjektiv so empfundene
"Rausschmiss". Auch in diesem sensiblen Bereich bedarf es noch der intensi ven
Information. Sorge bereitet bei allen Truppenteilen, dass sich immer weniger
gute Zeitsoldaten davon überzeugen lassen, Berufssoldaten zu werden. Neben
finanziellen Anreizen seien Verbesserungen der Rahmenbedingungen des täglichen
Dienstes, wie sie in der Industrie mittlerweile selbstverständlich wären,
unabdingbar. Dazu gehöre die private Nutzung von Dienstwagen, eine moderne
Bürokommunikationsausstattung, die Verfügbarkeit von Kreditkarten bei
Dienstreisen, um nur einige Beispiele zu nennen. Die mange lnde Perspektive, die
Auslandseinsätze, die Unsicherheit des Standortes und der Familiensituation
schreckt viele junge Leute von einem Dienst mit einer längeren Stehzeit in den
Streitkräften ab. Der Kommandeur einer Schule berichtet, dass sich die
Teilnehmer eines KpChefLehrgangs mit großer Skepsis zur Entwicklung der
Bundeswehr geäußert hätten. "Wir haben das Vertrauen in die politische Führung
verloren und Zweifel, ob die Entscheidung, Berufssoldat zu werden, richtig
gewesen ist." Aus der Sicht vieler San itätsoffiziere ist für etwa 90 % der Ärzte
kein klarer Verwendungsaufbau erkennbar. Trotz schlechter Lage auf dem zivilen
Arbeitsmarkt reduziere dies die Zahl derer, die den Wunsch hätten, Berufssoldat
zu werden. Junge Offiziere berichten: "Im 64. Offizier anwärterjahrgang ist
keiner dabei, der Berufssoldat werden will. In einem Hörsaal haben beim
Einweisungslehrgang von 20 Offizieren nur zwei überlegt, bei der Bundeswehr zu
bleiben. Man kann mit der Bezahlung leben, es fehlt aber die Perspektive."
"Jeder Idealismus hört irgendwann auf. Wo bleibt die Attraktivität für die
Offiziere, wenn man vom Kompaniechef A 12 einmal absieht. Die Summe der
schlechten Rahmenbedingungen wirkt sich auf die, Zahl der Anträge zum
Berufssoldaten aus. Als Leutnante wollten wir fa st alle Berufssoldat werden.
Diese Einstellung hat sich im Studium rasant verändert. Einsatz, W 10,
Behandlung durch höhere Vorgesetzte und Dienstzeitbelastung, die Erkenntnis,
dass es außerhalb der Bundeswehr noch etwas anderes Erstrebenswertes gibt -
viele haben ihre Anträge zerrissen - zwölf Jahre waren eine gute Zeit - jetzt
reicht es", spiegelt eine weit verbreitete Stimmung wieder, die auch in
"Kaffeegesprächen" in der Einheit gegenüber Untergebenen deutlich gemacht wird.
Ein Hauptmann schildert seine Berufsperspektive: "Schon auf dem Weg zum
Hauptmann und Chef mehrere Versetzungen. Danach drei oder vier A 11Verwendungen,
dann A 13 für 10 bis 15 Jahre, um A 14 zu werden. Auf dieser Zeitachse gesehen
ist A 14 kein attraktives Ziel. Als Berufsschullehrer bin ich gleich A 13, und
die Perspektive ist dieselbe. Wenn ich Stundenansatz und Versetzungshäufigkeit
sehe, verdient der sein Geld leichter." Soldaten vergleichen sich
selbstverständlich mit anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes und kommen
dabei zumeist zu der subjektiven Erkenntnis, dass sie das Schlusslicht bilden.
2.5 Materielle Rahmenbedingungen
Die teilweise desolate Materiallage wird drastisch geschildert. Kaum einer nimmt
noch ein Blatt vor den Mund, die Verärgerung ist deutlich spürb ar. In den
Gesprächen mit dem BEA nutzen Soldaten die Möglichkeit, sich einmal richtig Luft
zu machen. Meinen Feststellungen aus dem letzten Jahr ist nichts hinzuzufügen,
es sei denn, dass sich die Gesamtsituation weiter verschlechtert hat. Die
Soldaten befürchten, dass es in Zukunft nicht besser wird. Die Bundeswehr solle
kleiner, feiner, professioneller und attraktiver werden. Es würden weltweit
Auslandseinsätze durchgeführt, und "man wolle überall mitreden", nur die Mittel
dafür fehlten. "Wir haben keine Ersatzteile, sondern nur Material, das immer
älter und schlechter wird." Es sollte öfter mal Vorgesetzte geben, die sagen:
"So geht das nicht weiter." Ein Beispiel sei die ABC -Abwehrtruppe, die immer
wieder öffentlichkeitswirksam "ins Spiel gebracht" werd e. "Mir graut, wenn ich
im Fernsehen höre, die deutsche ABC -Abwehrtruppe sei die bestausgebildete und
bestausgerüstete auf der Welt. Dabei sind wir nicht einmal in der Lage, einen
einzigen Trupp zusammenzubekommen, der hundertprozentig seinen Auftrag erfül len
kann." Als besonders schwierig wird die Materiallage von dem technischen
Personal der Luftstreitkräfte empfunden und dargestellt. Vor allem die mangelnde
Wahrnehmung dieser Tatsache durch die Vorgesetzten, aber auch durch die Politik
wird mit zunehmendem Unverständnis und teilweise deutlicher Verärgerung als
unerträglich betrachtet. "Wenn ich im Geschwader Reden bei Kommandoübergaben
höre, glaube ich, ich bin in einem anderen Verband alles himmelblau. Man fragt
sich, ob denn oben überhaupt etwas ankommt . Das schönste Märchen ist unsere
Klarstandsrneldung, da wird nur modifiziert und gelogen." Immer noch beklagt die
Mehrheit der Verbände beim IT-Konzept einen Realisierungsgrad von unter 50
Prozent, Hardware fehle, vorhandene Systeme wären veraltet oder ni cht mit
wichtigen Komponenten, wie z. B. einem CDROM -Laufwerk, ausgestattet. Dieser
Mangel führe dazu, dass elektronisch oder auf Datenträger übermittelte
Information nicht "ankommt". Die Truppe behilft sich mit der Nutzung privater
Rechner, um den Dienstbetrieb in angemessener Weise aufrechterhalten zu können.
Völlig verständnislos werden deswegen die logistischen Verfahren kommentiert,
die eine dienstliche Bereitstellung des IT -Verbrauchsmaterials für diese PC
nicht zulassen. Eine gute Computerausstattung ist heute Kennzeichen eines
modernen Arbeitsplatzes. Daher belächeln insbesondere die im Stabs - oder
Geschäftszimmerbereich eingesetzten GWDL den oftmals, aus ihrer Sicht,
"museumsreifen" Bürostandard. Mangelnde Attraktivität auch in diesem Bereich
hält letztendlich so manchen guten, interessierten Soldaten davon ab, sich
weiterzuverptlichten.
3 Personalwesen
3.1 Nachwuchsgewinnung
Unvermindert hält die Kritik an der Arbeit der Kreiswehrersatzämter und Zentren
für Nachwuchsgewinnung in der Truppe an. Führer reklamieren, dass der Nachwuchs
in qualitativer und quantitativer Hinsicht nicht den Erfordernissen entspreche.
Manche Bewerber hätten sich vorher schon erfolglos bei Polizei, BGS oder auch in
der öffentlichen Verwaltung vorgestellt - die Bundeswehr sei also für diese
bestenfalls nur "dritte Wahl". Die jungen Soldaten kämen dann oft noch mit
völlig falschen Vorstellungen in die Truppe oder mit dem festen Vorsatz, sich
möglichst schnell an einen heimatnahen Standort versetzen zu lassen. Immer
wieder wird der Vorwurf erhoben: "Bei KWEA und ZNwG wird nur stur Quote
gemacht." Nicht selten bestätigen uns die Geworbenen dieses Urteil. Sie seien
nur oberflächlich oder gar falsch informiert worden, und gemachte Zusagen hätten
sich nicht erfüllt. Übrigens ist selbst bei Betroffenen mit Verwunderung zur
Kenntnis genommen worden, dass eine praktische Überprüfung der körperlichen
Ausdauerfähigkeit an einigen ZNwG (der 12 -Minuten-Lauf) nicht mehr stattfindet.
Ich habe Verständnis für die Führer, die unter dem Eind ruck der
Nachwuchssituation in ihren Einheiten oder Teileinheiten diese Kritik und Klagen
vorbringen. Tatsächlich ist dies aber eine Verkennung der realen
Be~rrerbers8tuation und der enormen Bemühungen der
Nachwuchsgewinnungsorganisation, den Bedarf ohne a llzu große
Qualitätszugeständnisse zu decken. Die Truppe hat in dieser Hinsicht einen hohen
Informationsbedarf. Um ihn zu befriedigen, muss der eingeschlagene Weg des
Dialogs zwischen Stammdienststellen, ZNwG und Verbänden intensiv fortgeführt
werden. Die Werbemaßnahmen der Streitkräfte finden keine Akzeptanz bei den
Soldaten. Kaum einer erkennt sich im dargestellten Berufsbild und -umfeld
wieder. Immer lauter wird die Forderung nach einer Verbesserung des "internal
marketing", der Innenwerbung. Zufriedene Mitarbeiter seien die besten
Werbeträger für das "Unternehmen Bundeswehr". Unterstrichen wird diese Aussage
dadurch, dass nur noch eine Minderheit unserer Längerdiener in ihrem privaten
Umfeld den Dienst bei der Bundeswehr vorbehaltlos empfiehlt. Vor diese m
Hintergrund war die Bedeutung des Atraktivitätsprogramms kaum zu überschätzen.
Seine Nichtumsetzung im Jahre 2001 hat nachhaltig das Vertrauen in die Führung
bestätigt. Sie hat außerdem dazu geführt, dass Teile des Programms schon
"zerredet" und seine positiven Wirkungen in Frage gestellt werden. Es wird also
nun, nachdem die Entscheidungen gefallen sind, auf eine schnelle Umsetzung
ankommen und darauf, die Information über die positiven Effekte für jeden
verständlich an den Mann zu bringen. Generell wird in den Gesprächskreisen
unseren Streitkräften eine gesunkene Attraktivität attestiert. Personelle und
materielle Rahmenbedingungen würden sich stetig verschlechtern und so den Dienst
erschweren. Für viele potenzielle Aspiranten ist der Berufssoldat keine
Alternative mehr. Abschreckend wirkt die geforderte Mobilität, fehlende
Planungssicherheit und Perspektive in den Laufbahnen, aber auch die Aussicht, in
regelmäßigen Abständen für sechs Monate in den Einsatz gehen oder länger auf See
bleiben zu müssen. Unvermindert hält die Kritik an der Einstellung mit höherem
Dienstgrad in allen Teilstreitkräften an. Dies mag auch daran abzulesen sein,
dass die despektierliche Bezeichnung "Neckermänner" mittlerweile sprachliches
Gemeingut geworden ist. Es ist auch 2001 ni cht gelungen, die weit verbreiteten
Vorbehalte und Vorurteile durch offensive in Informationspolitik auszuräumen.
Hartnäckig hält sich nach wie vor die Meinung, die o. a. Soldaten hätten
Laufbahnvorteile. Fast generalisierend wird ihnen ein Mangel in der E instellung
zum Beruf und ausschließlich finanzielle Motivation unterstellt. Betroffene
berichten auch von einer, ihrer Meinung nach, gezielten Überforderung durch
Vorgesetzte. "Man bekommt eben immer das Nassrevier", drückt ein StUffz diesen
Sachverhalt recht anschaulich aus. Die wesentliche Forderung bleibt stets: "Geld
ja - Dienstgrad nein." Mit ähnlicher Skepsis begegnen große Teile der Truppe der
"Gestrafften Ausbildung zum Feldwebel (GAF)" und den so ausgebildeten Führern.
Bei aller Attraktivitätssteigerung sei sie zu "verschult", zu "theorielastig".
Aus vielen Äußerungen, vor allem der Unteroffiziere, spricht die Sorge, dass ihr
Berufsbild entwertet werden könnte. Die Disziplinarvorgesetzten müssen sich noch
bewusster werden, dass es sich bei den mit h öherem Dienstgrad Eingestellten, wie
auch beim "GAF"-Feldwebel, um Unterführernachwuchs handelt, der ihrer besonderen
Fürsorge bedarf. Um Ressentiments abbauen zu können, müssen sie zur Information
des unterstellten Bereiches befähigt werden. Höhere Vorges etzte sollten die
Vorteile dieser Personalmaßnahmen noch deutlicher herausstellen. Jeder Führer
muss sich darüber im Klaren sein, dass die Ressource Personal wertvoll und knapp
ist und einer entsprechenden Pflege bedarf.
3.2 Personalführung
Die Personalführung beeinflusst Zufriedenheit und motivation ganz wesentlich.
Von daher nimmt sie in den Gesprächen mit den Soldaten einen breiten Raum ein.
Die Forderungen und Erwartungen sind dabei unvermindert hoch. Vor allem in
Verbänden, die von Strukturmaßnahm en betroffen sind, herrscht eine besonders
große Sensibilität. Schon früh nach Bekanntwerden von Strukturentscheidungen
wurde vielerorts Klage erhoben, dass [..] oder Organisationsbefehle noch nicht
vorlägen und deshalb Personal nicht verändert werden könn te. Besonders
ausgeprägt ist das Informationsbedürfnis bei Verbänden, die sich vor oder
während geplanter Strukturmaßnahmen im Einsatz befinden. Hier herrscht allgemein
die Sorge, dass nach der Rückkehr ". . . die besten Dienstposten vergeben sind":
Vor allem den personalbearbeitenden Dienststellen werden die vermeintlichen
Versäumnisse und Verzögerungen angelastet. Meine diesbezüglichen Nachfragen
haben jedoch ergeben, dass auch dort die organisatorischen Grundlagen, die ein
Handeln ermöglicht hätten, oft noch nicht vorgelegen haben. Eine Truppe, die vor
Strukturänderungen steht und die Schwierigkeiten hat, Nachwuchs in angemessenem
qualitativen und quantitativen Umfang zu gewinnen, bringt kein Verständnis für
das Durchhalten von restriktiven Verpflichtungs vorgaben auf. Dass Mannschaften
und Unteroffiziere o. P. kaum mehr über vier Jahre hinaus verpflichtet werden,
ist eine Kritik, die mittlerweile TSK -übergreifend geäußert wird. In "unsicherer
Zeit" möchte man sich des Erfahrungsschatzes dieser Klientel ver sichern. In
diesem Zusammenhang hat auch die verzögerte Implementierung der Änderung der
Soldatenlaufbahnverordnung zu Verunsicherung geführt. Viele Fragen zur
Fachunteroffizierlaufbahn konnten von Vorgesetzten über das Jahr nicht
beantwortet werden. Dadurch sind, nach Aussage der Truppe, gut qualifizierte
Bewerber verloren gegangen. Entgegen der Weisungslage werden vermehrt die
vorgeschriebenen Fristen bei Versetzungen nicht mehr eingehalten. "Viele
erfahren erst am Tag der Versetzung, dass sie eine neue S telle haben." In der
Regel handelt es sich noch um Einzelfälle. Die Personalführung muss sich aber
gesprächsbereit anbieten und nachvollziehbare Erklärungen liefern können. Es
darf nicht der Eindruck des Desinteresses und der Beliebigkeit entstehen.
Das Vertrauen in die personalführenden Stellen ist zumindest angeschlagen. Ihnen
wird häufig "mangelnde Flexibilität" vorgeworfen. Das starre Eingepresstsein in
Quoten- und Jahrgangsdenken bei Laufbahn - und Förderentscheidungen erscheint
vielen, angesichts der Einführung moderner Managementverfahren in anderen
Bereichen, nicht mehr angemessen zu sein. Die, knappe Ressource Personal werde
überwiegend nur herkömmlich verwaltet. Stammdienststellen und Personalamt tragen
eine hohe Verantwortung für den Betriebsfried en in den Streitkräften. Vor dem
Hintergrund dieser Aussage sollte es selbstverständlich sein, dass diese
Dienststellen über eine angemessene personelle und materielle Ausstattung
verfügen. Bei meinem Besuch der SDH im Februar habe ich festgestellt, dass d ort
diese Voraussetzungen, nach einer STAN -Verhandlung, nicht mehr gegeben waren.
Die immer noch eingeschränkte Bereitstellung von Wehrübungstagen hat auch in
diesem Jahr zu einer reduzierten Übungstätigkeit geführt. Die Truppe berichtet
im Wesentlichen von Einzelwehrübungen. Die äußerst hohe Motivation der
Reservisten, die sich auch darin zeigt, dass sie in ihrem Erholungsurlaub üben
und die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen aus eigenen Mitteln
bestreiten, sollte nicht weiter überstrapaziert werden . Neben dem Absinken des
Ausbildungsniveaus besteht die Gefahr, dass unsere Reservisten als Werbeträger
und Multiplikatoren in der Gesellschaft verloren gehen. Sorgfältig sollte darauf
geachtet werden, dass ausgeplanten Reservisten ein "würdiger Abschied" zuteil
wird. Betroffene, die sich langjährig engagiert haben, reagieren zu Recht
unwirsch, wenn ihr Abschied bürokratisch unpersönlich per Post erfolgt.
4. Ausbildung
4.1 Führerausbildung
Im letzten Jahr wurden vom BEA zehn Schulen und Ausbildungsei nrichtungen aller
Teilstreikräfte im In- und Ausland sowie die Führungsakademie der Bundeswehr
besucht. An allen Ausbildungseinrichtungen sind mir meist hoch motivierte
Lehrgangsteilnehmer sowie überaus engagiertes und gut qualifiziertes
Ausbildungspersonal begegnet. Nicht zu verkennen ist allerdings auch, dass sich
in vielen Bereichen die personellen und materiellen Rahmenbedingungen, unter
denen der Ausbildungsauftrag durchgeführt werden muss, stetig verschlechtern. So
wurde mir an einer Schule vorgetrage n, dass auf Grund von Ausbildermangel die
Klassenstärken anwachsen würden. Als Folge wären Klassenräume überbelegt und
eine sinnvolle Nutzung der Spezialhörsäle nicht mehr möglich. Andernorts führten
Ausfallhäufigkeit und der schlechte Klarstand beim Ausbi ldungsgerät zu
merklichen Einschränkungen in der praktischen Ausbildung. Die Lage der
Führungsakademie der Bundeswehr wurde von vielen Gesprächsteilnehmern, sowohl
Stammpersonal als auch Lehrgangsteilnehmer, ausgesprochen negativ bewertet. Die
FüAk entspreche in Infrastruktur, IT-Wesen und Ausstattung nicht mehr dem
internationalen Standard vergleichbarer Institutionen. Der Anschluss sei
verpasst worden, Sie würden sich vor ihren ausländischen Kameraden nur
blamieren. Eine durchgehend von den Lehrgangsteiln ehmern geäußerte Forderung
war, die Dozenten, zivil und militärisch, regelmäßig auszutauschen. Schon eine
Verwendungszeit von sechs Jahren wird als zu lang angesehen. Nicht nur dieser
Ausbildungseinrichtung wird das Kriterium "Einsatzerfahrung" immer besti mmender
im Anforderungsprofil für militärische Dozenten und Ausbilder gesehen. Die
Unzufriedenheit mit einigen Ausbildungsgängen an der Akademie ist nicht neu.
"Der Stabsoffizierlehrgang ist als Prüflehrgang nicht für alle Berufssoldaten
nötig. Diejenigen, die über ein abgeschlossenes Studium verfügen, haben ihre
Fähigkeit, wissenschaftlich zu arbeiten, hinlänglich unter Beweis gestellt." Der
Lehrgang wird nicht als Weiterbildungsangebot verstanden, sondern lediglich als
Laufbahn- und Prüflehrgang, um vor allem die Auswahl für den zukünftigen
General/Admiralstabsdienst zu treffen. Da in anderen Bereichen des öffentlichen
Dienstes das abgeschlossene Studium als Eintrittskarte in den Höheren Dienst
ausreiche, halten Studienabsolventen diesen Lehrgang für verzi chtbar. Auch in
diesem Jahr wurde bei der Luftwaffe Kritik am "Schulmodell" geäußert. Die
organisatorische Trennung von Ausbildern und Auszubildenden "entfremde" die
beiden Gruppen. Die fehlende personelle Unterfütterung der
Lehrgruppenkommandeure lasse de ren Einbindung in Erziehung und Ausbildung kaum
zu - sie wären dadurch nicht sachgerecht ausgelastet. Zudem seien die
Zeitansätze in den Lehrgängen mittlerweile so "durchoptimiert", dass sie keine
außerplanmäßigen Freiräume oder Organisationsstunden für Pr ägung und Erziehung
durch höhere Vorgesetzte mehr böten. Die individuelle Vorbereitung der
Lehrgangsteilnehmer wird an Schulen aller TSK häufig beklagt. Teilweise müsse in
der Ausbildung bei null angefangen werden, was aber mit dem knappen eigenen
Personal und in der zur Verfügung stehenden Zeit kaum noch zu leisten sei. Der
Grund für diese Defizite wäre nicht selten eine angespannte Personal - und
Materiallage in den Entsenderverbänden. Ein erfreuliches Lagebild wurde mir am
Fliegerischen Ausbildungszentrum der Luftwaffe in HOLLOMAN dargestellt. Der
personelle und materielle Aufwuchs hätte zwar nicht zum vorgesehenen Termin
realisiert werden können, aber zumindest die Infrastruktur sei zeitgerecht
fertig gestellt worden. Der Ausbildungsbetrieb laufe ohne nen nenswerte
Einschränkungen, da auch der Klarstand bei den Luftfahrzeugen höher sei als in
der Heimat. Das ähnliche Bild einer modernen Ausbildungseinrichtung bot sich mir
im "Gefechtsübungszentrum" des Heeres. Zwar gilt es dort noch Mängel bei der
Infrastruktur, aber die Ausbildungseinrichtung ist technisch so weit
fortgeschritten, dass der Schritt zu ". . . der Welt modernstem Zentrum für
realistische Darstellung und Auswertung des Gefechts" nicht mehr groß ist. Durch
die im "Pilotprojekt 9.6" festgelegte P rivatisierung des größten Teils der
Unterstützungsleistung erlangt die Einrichtung auch in dieser Beziehung
Modellcharakter. Bei aller positiven Aufbruchstimmung darf die
verantwortungsvolle Bewertung einer solchen Organisationsform mögliche Risiken
und längerfristige Effekte nicht negieren. So wurde mir beim TaktAusbKdoLw CA in
GOOSE BAY berichtet, das dort der Flugplatz privatwirtschaftlich betrieben wird.
Als Folge eines Streiks habe dann über mehrere Wochen kein Ausbildungsbetrieb
stattfinden können. Zudem habe man auf der Zeitachse eine "merkliche Verteuerung
der Leistung" festgestellt. Der Zivilberufliche Aus - und Weiterbildung (ZAW),
als eine der Säulen der Fachlichen Ausbildung zum Unteroffizier, wird von zu
vielen Betroffenen weiterhin als Zwangsmaß nahme gesehen. Als Hauptvorwurf wird
erhoben, dass neue Berufsbilder oftmals nicht berücksichtigt würden und die
entsprechenden Angebotslisten überarbeitungsbedürftig seien. Außerdem würde das
Verfahren unflexibel und bürokratisch gehandhabt, und es gebe b isher kaum
frauenspezifische Angebote. Die meisten Soldaten hatten im Rahmen des
Attraktivitätsprogramms, insbesondere aber der "Qualifizierungsinitiative", auf
eine Verbesserung der Situation gehofft, sie vermissen nun die greifbaren
Erfolge der in den Medien propagierten Verhandlungen und Gespräche mit IHK und
Handwerkskammern (HWK).
4.2 Truppenausbildung
Die Verlagerung der Ausbildung Lfz -Avioniksoldat bzw. Fluggerätemechanikersoldat
von der TSLw in die Verbände bereitet den fliegenden Geschwadern d er Luftwaffe
große Probleme. Beklagt wurden fehlerhafte und zu spät zuqelaufene
Ausbildungsunterlagen, die in vielen Bereichen nicht an die Lerngruppe angepasst
gewesen seien, ebenso wie personelle und infrastrukturelle Engpässe. Außerdem
wären Inhalte in den Ausbildungsplänen von FP 8 und AAP 7 teilweise
deckungsgleich, so dass es zu Doppelausbildung komme. Eine ähnlich hohe
Ausbildungsbelastung wird regelmäßig, vor allem aus dem Kreis der
Portepeeunteroffiziere der seefahrenden Einheiten der Marine, bekla gt.
Mannschaften kämen meist ohne die richtige Vorausbildung aus der Grundausbildung
und müssten an Bord aufwendig auf den jeweiligen Systemen geschult werden. Oft
könne dies erst während der Seefahrt erfolgen und führe so beim Ausbilder zu
einer Doppelbelastung. Mit großer Sorge und Skepsis sehen die Vorgesetzten in
der Truppe, besonders bei Lw und Marine, dem W91W9A entgegen. Das von mir im
letzten Jahresbericht ausführlich thematisierte Problem des dienstlichen Sportes
in der Bundeswehr ist bisher noch k einer akzeptablen Lösung zugeführt worden.
Nach wie vor behindern "hausgemachte" Regelungen und Weisungen die
Sportausbildung. Versorgungsrechtliche Probleme ergeben sich zum Beispiel dann,
wenn außerhalb des Dienstplans Sport gemacht wird. Das gilt für de n Einzelnen,
der während des Dienstes verfügbare Zeit für AMILA nutzt, wie auch für die
Soldaten, die nach Dienst in der Kaserne trainieren oder Neigungssport betreiben
wollen. Zusätzlich wird in Teilbereichen das geforderte Qualifikationsniveau für
die Durchführung und Beaufsichtigung von Sportausbildung als zu hoch angesehen -
der Lehrgang für entsprechende Qualifizierung wird besonders in der Marine als
zu lang bewertet. Vor allem jetzt, in den Zeiten einer erhöhten Inanspruchnahme
des Führungspersonals, ist es der Sport, der neben der Politischen Bildung zur
Disposition gestellt wird. Mein Eindruck aus dem letzten Jahr, dass den meisten
Soldaten von Luftwaffe und Marine Sport nur noch "angeboten" wird und die
körperliche Ertüchtigung im Heer sich häufig auf AMILA reduziert, hat sich durch
die Äußerung der Soldaten weiter erhärtet. Von der Vorschriftenlage her muss ein
Umfeld geschaffen werden, das es ohne Absicherung auf dem Dienstplan ermöglicht,
jederzeit Sport zu treiben und die entsprechenden Einricht ungen auch nach Dienst
für solche Aktivitäten nutzen zu können. Trendsportarten wie Beachvolleyball und
Fitnesstraining sind geeignet, ein solches Interesse auch zu initiieren. Ich
halte es weiterhin für überlegenswert, auch längerdienende Mannschaften zur
Entlastung des Führungspersonals an der SportschuleBw zu qualifizieren und als
Sportausbilder einzusetzen. Zudem könnten Spitzensportler als Motivationsträger
die Sportausbildung in der Truppe unterstützen. Auch der Einsatz der Offiziere
mit abgeschlossenem Sportstudium sollte in diesem Zusammenhang nicht aus den
Augen verloren werden.
5. Grundwehrdienst
Der Anteil der Wehrpflichtigen, die ihrem Dienst positiv gegenüberstehen und
auch in ihrem Bekanntenkreis zum Dienst in der Bundeswehr raten, ist wei terhin
relativ hoch. Dies wird belegt durch Aussagen wie "Wir sind durch die Bundeswehr
erwachsener geworden" oder "Wer Zivi macht, verpasst etwas". Allerdings darf
dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Prozentsatz derer groß ist, die das
positive Erlebnis Wehrdienst fast ausschließlich an ihrer Grundausbildung
festmachen. In manchen Einheiten gelingt es noch, den GWDL in die
Funktionsgemeinschaft zu integrieren und ihm eine angemessene Verantwortung zu
übertragen. Oft genug höre ich aber Klagen über "Beschäftigungstherapien",
"Leerlauf' oder "Rumdümpeln". Die Betroffenen erkennen dabei meist selbst, dass
die hohe Auftragsdichte und die dünne Personaldecke in ihren Verbänden einfach
zu wenig Raum für Sport, Schießen und Gefechtsausbildung lassen. Eine als
ausufernd empfundene Bürokratie, antiquierte Arbeitsplätze, eine demotivierende
Versorgungslage und die vermeintliche Besserstellung von Zivildienstleistenden
führen jene Soldaten als Begründung an, die sich nicht wieder für den Wehrdienst
entscheiden würden. Von Verstößen gegen die Grundsätze der Menschenführung
berichten die Soldaten sehr selten. Auslastung und der moderne, zeitgemäße
Arbeitsplatz sind bestimmende Faktoren für die Attraktivität des Wehrdienstes.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhan g, dass ein wenig fordernder
Zivildienstplatz als erstrebenswert eingestuft wird, während ein solcher
Arbeitsplatz bei der Bundeswehr sofort als "Gammelei" angeprangert wird. Nach
wie vor wird vorgetragen, dass Soldaten nicht komplett eingekleidet werden
können. Engpassartikel waren in diesem Jahr vor allem Flecktarnhosen und
Kampfstiefel in gängigen Größen. Die Ausstattung hätte bis zu sechs Wochen
gedauert. Ausgesprochen "sauer" reagierten die Soldaten in einem
Fallschirmjägerbataillon darauf, dass sie st att mit Nässeschutz GORETEX mit dem
alten Moleskin-Parka ausgestattet wurden. Die betroffenen Rekruten fragten:
"Wieso zieht ihr uns denn ein, wenn ihr uns nicht vernünftig ausstatten könnt?"
Die Klagen vieler Vorgesetzter über eine rückläufige Qualität be i den
Wehrpflichtigen halten an. Auch der Anteil von "Problemfällen" wachse
kontinuierlich. Die Ausbildung und der sinnvolle Einsatz von W9NV9A werfen bei
der Mehrheit des Führungspersonals nur Fragen auf oder führen zu Schulterzucken.
Vor allem in technischen Verwendungsbereichen bei Luftwaffe und Marine wird
immer wieder darauf hingewiesen, dass auf Grund kochgesteckter Anforderungen und
sicherheitstechnischer Einschränkungen schon der W 10 bestenfalls nur noch als
"Handlanger" einsetzbar sei. (. . .)
6. Politische Bildung
Das Interesse bei den Mannschaften und Unteroffizieren, sich im Rahmen der
Politischen Bildung mit aktuellen Problemen aus Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft zu beschäftigen, ist nicht nur auf Grund der aktuellen Ereignisse
des 11. September anhaltend hoch - trotzdem hat sich der "Abwärtstrend" bei der
Durchführung der Politischen Bildung in diesem Jahr verstetigt. (. . .)
Mannschaften haben bestenfalls noch die Gelegenheit, an Seminaren, Tagungen,
Gemeinderatssitzungen oder Exkurs ionen teilzunehmen, in denen, für einen
begrenzten Teilnehmerkreis, staatsbürgerliche Weiterbildung auf allerfeinstem
Niveau geboten wird. Dieses "Outsourcing" der Politischen Bildung hat
Konjunktur. Solche Veranstaltungen werden als "Highlight" empfunden und - nicht
zuletzt auch wegen der stattfindenden gruppendynamischen Prozesse - hoch
geschätzt. Bei allem Glanz, den diese Unternehmungen einer Jahresmeldung
verleihen, dürfen sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer weniger
Disziplinarvorgesetzte die Chance nutzen, über die Politische Bildung auf ihre
Soldaten im Dialog Einfluss zu nehmen. So sieht sich der Mannschaftsdienstgrad
genauso wie der Unteroffizier in der geistigen Auseinandersetzung, aber auch bei
der einfachen Beantwortung von Fragen im pri vaten Umfeld weitgehend allein
gelassen. Von den Vorgesetzten wird diesen Soldaten selten ein umfassendes
"Lagebild" zu aktuellen Problemstellungen, das auch persönliche Bewertung
einschließt, dargestellt. (. . .)
7. Einsatz Der Einsatz der Bundeswehr im Ausland ist mittlerweile zur Normalität
im militärischen Alltag geworden. Für die Mehrheit der Soldaten ist es mehr als
ein gut bezahltes Abenteuer. Sie erweitern ihren Horizont, verstehen andere
Kulturen und Gesellschaftsformen besser und erfahren die eigene, in der Heimat
oft kritisierte Wirklichkeit in einem völlig neun Licht. Seltner verstärken sieh
schon bestehende Ressentiments durch negative Einsatzerfahrung vor Ort.
Allerdings darf in der vorbereitenden Ausbildung nicht in dem Bemühen
nachgelassen werden, möglichst umfassend über Land und Leute zu informieren.
Kritik richtet sich weniger gegen den Einsatz an sich, sondern gegen die damit
verbundenen Rahmenbedingungen. Die für einen Auslandseinsatz vorgesehenen und
ausgebildeten Soldaten sind im Al lgemeinen in hohem Maße motiviert. Wenn sich
dann allerdings für Einheiten oder auch den Einzelnen auf Grund der
Lageentwicklung die Inmarschsetzung verzögert oder gar ganz entfällt, bedarf
dies einer verständlichen Begründung, die auch der letzte Mann nac hvollziehen
kann. Führer in einem KRK-Bataillon z. B. argumentieren: "Wir betreiben einen
hohen Ausbildungsaufwand, die Leute stehen ständig unter Strom, konnten ihr
Können aber noch nicht unter Beweis stellen. Das ist auf Dauer nicht gut für die
Motivation. Es ist unverständlich, dass viele HVK -Verbände bereits mehrfach im
Einsatz waren, obwohl das eigentlich nicht deren Geschäft ist." (. . .)
7.2 Rahmenbediengungen
(. . .) Die Truppe bemängelt bei der standortgebundenen vorbereitenden
Ausbildung fehlendes Material wie z. B. GPS, Nachtsichtgeräte für G 36, BiV -
Brillen und die im Einsatzgebiet üblichen Fahrzeuge. "Der Soldat kann mit seiner
STAN-Waffe vertraut bleiben, wenn sie ihm ein halbes Jahr vor dem Einsatzbeginn
wieder weggenommen wird." Immer wi eder wird vorgeschlagen, für Soldaten, die
schon mehrfach im Einsatz waren, die Vorausbildung noch weiter zu straffen.
(. . .)
9. Fürsorge In den Augen der Soldaten haben sich höhere Vorgesetzte im Bereich
der Fürsorge vielfach aus ihrer Verantwortun g für die Soldaten gestohlen, indem
sie sich hinter der politischen Argumentation, Geldmangel und dem Hinweis auf
bestehende Gesetze "verschanzen". Man fühlt sich dem Staat als Arbeitgeber
gegenüber ausgeliefert, beklagt die bisher nicht eingehaltenen Verp flichtungen
und verdächtigt ihn, das Alimentationsprinzip nicht einzuhalten. In Verbindung
mit den gestiegenen Einsatzforderungen ergibt dies eine brisante Gefühls - und
Stimmungslage. Überall dort, wo Soldaten der "Ostbesoldung" unterliegen, ist
eine Mischung aus Resignation und einer Aufwallung der Gefühle zu beobachten.
Der bestehende Zustand wird als extreme Ungerechtigkeit empfunden, man fühlt
sich als "Soldat zweiter Klasse". Der bisher so oft als wohltuend empfundene und
entsprechend strapazierte Begriff einer "Armee der Einheit" wird nicht mehr
akzeptiert, da er einen krassen Widerspruch zur erlebten Realität darstellt.
(. . .)
10. Wehrverwaltung (. . .)
10.1 Standortverwaltung
Allgemein herrscht bei den Soldaten das Gefühl vor, die Standortv erwaltungen
würden zunehmend ihrem Unterstützungsauftrag nur noch eingeschränkt gerecht. Oft
sind es Kleinigkeiten, die den Soldaten den Dienstalltag erschweren; aber - es
wird der verständnisvolle und um Abhilfe bemühte engagierte Partner vermisst. So
wird schließlich vielerorts der heruntergekommene Zustand der Infrastruktur auch
der StOV zugeschrieben, zumal im Bereich der Truppenunterkünfte immer mehr
Sparmaßnahmen durchgesetzt werden. Teilweise berichten die Soldaten von
hygienischen Problemen in den T ruppenküchen und Sanitärbereichen. Am eigenen
Leib spüren insbesondere die Mannschaften die Sparmaßnahmen mit schlechten
Betten, altem Mobiliar sowie "Willkür und Bürokratismus" bei
Raumtemperaturabsenkungen und Regulierung von Duschzeiten. Besonders in de n
aufzulösenden Standorten verschlechtert sich der hygienische Zustand der
Sanitärbereiche zusehends ' teilweise bildet sich Schimmel: Man hat zwar neue
WC- und Waschbecken eingebaut, die alten Rohre Fliesen aber drinnen gelassen.
Die StOV investiert nicht mehr in unser Gebäude, die Mitarbeiter erklären uns
esiBe,5chwerden immer wieder, dass dieser Block eigentlich gar nicht mehr
genutzt werden solle. Das hilft uns aber nicht weiter!" (. . .)
10.3 Kreiswehrersatzämter
Die Grundstimmung der Soldaten all er Dienstgradgruppen gegenüber der
Rekrutierungspraxis' der FWDL durch die KWEÄ lässt sich in dem Satz: "Quote
statt Qualität" zusammenfassen. Insgesamt herrscht der Eindruck vor, dass man
bei den Kreiswehrersatzämtern eher den "Bodensatz der Gesellschaft einkauft".
"Die nehmen doch jeden, Hauptsache die Quote stimmt!" Die Wehrpflichtigen
stellten keinen repräsentativen Durchschnitt der heutigen Jugend mehr dar. (. .
.)
11. Neuausrichtung von Grund auf
Die Entwicklung der Streitkräfte wird allgemein mi t großer Sorge betrachtet.
Keinen Zweifel gibt es allerdings an der Notwendigkeit zu tief greifenden
Reformen. Die Neuordnung der Bundeswehr von Grund auf wird als Gesamtkonzept
zwar mitgetragen, die eigentlich notwendige "Aufbruchstimmung" aber, der "Elan ",
dieses gewaltige Reformwerk auch "zur Hochstrecke zu bringen", ist nicht
erkennbar. Man "erträgt mit" im wahrsten Sinne des Wortes, ohne Freude. (. . .)