Das Unglück ereignet sich am Vormittag des 26. November 2011. In einem Wäldchen zwischen Lützschena und Böhlitz-Ehrenberg im Leipziger Nordwesten ist eine Jagdgesellschaft zur Ansitzjagd geladen. 65 bis 70 Mann verteilen sich auf ihre Positionen. Der Jagdanfänger Reiner K. mit frischem Jagdschein und neuer Waffe nimmt seinen Platz auf einem Hochsitz ein. Als ein Frischling angeschossen wird, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Das Tier flüchtet sich auf ein nahes Feld, wo es von Treibern und ihren Hunden gestellt wird.
Irgendwann steht Reiner K. mit dem Gewehr einige Meter entfernt vom waidwunden Tier, will den so genannten Fangschuss setzen. Er drückt ab – und trifft den einige Meter entfernt stehenden Hundeführer Dirk H. in den Bauch. Der damals 40 Jahre alte Vater eines heute dreijährigen Sohnes sackt zusammen. Eine Hauptschlagader ist getroffen. Dirk H. stirbt noch auf dem Feld. Der mit dem Hubschrauber eingeflogene Notarzt kann nichts mehr für ihn tun.
Wieweit das Opfer, dessen Hund entwischt sein soll, selbst in die Schusslinie lief, bleibt bis heute umstritten.
Ein knappes Jahr später verurteilt das Amtsgericht den unerfahrenen Schützen wegen fahrlässiger Tötung zu acht Monaten auf Bewährung. Er habe gängige Sicherheitsvorschriften, zu denen er am Morgen jener Jagd auch belehrt wurde, missachtet. So habe er seinen Hochsitz nur in Notsituationen, nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis und nicht mit entsicherter Waffe verlassen und auch nicht einfach schießen dürfen, urteilte die Richterin.
Doch trotz milden Urteils des Amtsgerichts von acht Monaten Haftstrafe auf Bewährung gibt der heute 69-jährige Schütze zunächst nicht auf. Er fordert weiter Freispruch und geht in die nächste Instanz.
Jetzt allerdings hat er die Berufung zurückgezogen. Nach eineinhalb Jahren kann es endlich Frieden geben. In der Landgerichts-Verhandlung am Dienstag machte Jagdleiter Benito Messing noch einmal deutlich: „Es war niemandem erlaubt, seinen Hochstand zu verlassen, um einen Fangschuss abzugeben.“ Vom Frischling, der in beiden Vorderläufen getroffen war, sei keine Gefahr ausgegangen.
Trotzdem ließ der Angeklagte vor Gericht und den Angehörigen des Toten zuweilen den Respekt vermissen. Immer wieder fiel er der Richterin und dem Staatsanwalt ins Wort – bis man ihm ein Ordnungsgeld androhte.
Dabei ist unstreitig, dass K. Regelverstöße begangen hat. Allerdings sei fraglich, betonte sein Anwalt Kay Polster, ob man diese seinem Mandanten vorwerfen könne. Der Getötete selbst habe K. zuvor zum Verlassen des Hochsitzes und zum Fangschuss auf die Wildsau aufgefordert. Polster betonte, K. sei es bei der Berufung nicht um das Strafmaß gegangen, sondern um die Feststellung, dass der Angeklagte nicht allein schuldig an dem Unglück gewesen sei.
Gutachter hätten nun diese Woche bestätigt, dass das Opfer in allerletzter Sekunde in sein Schussfeld gerannt sein müsse. Zudem sei nun klar, das K. nicht etwa auf dem Boden liegend in Militärmanier auf ein stehendes Opfer geschossen habe. Diese Feststellungen seien seinem Mandanten persönlich und moralisch wichtig gewesen.
Um zivilrechtliche Ansprüche sei es dabei nicht gegangen, so Polster. Mutter und Sohn haben von K. dank einer Jagdhaftpflichtversicherung bereits 110000 Euro als Entschädigung erhalten. Daran werde nicht mehr gerüttelt. K. hat seine Waffen längst abgegeben. Zu Jagden geht er nicht mehr.