Blaser spricht den entscheidenden Punkt an: Es ist eine Sache, nur Frischlinge ganzjährig freizugeben, eine andere Sache ist die Frage, wie ich den Frischling definiere und praxisgerecht vom Überläufer abgrenze.
Dies geht aus der gesetzlichen Regelung nämlich nicht hervor. Zudem kann der Abschuss eines Überläufers außerhalb seiner Jagdzeit nach § 39 Abs. 2 Nr. 3a BJG eine Ordnungswidrigkeit darstellen, die weitreichende Konsequenzen haben kann. Für den Juristen knüpfen sich hieran einige Fragen (z. B. Vereinbarkeit mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz), mit denen ich mich in meinem Aufsatz näher auseinander gesetzt habe.
Aber auch für den Jäger in der Praxis ergeben sich Probleme: Die Zahnmethode kann ich nur nach dem Schuss anwenden, wenn das Kind möglicherweise schon "in den Brunnen gefallen" ist. Mit Hilfe von Kommentaren zum LJG NRW und Materialien der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadensverhütung NRW habe ich Kriterien für die Abgrenzung von Frischlingen und Überläufern vor dem Schuss definiert, die gerade auch dem Jäger ein Stück Rechtssicherheit geben sollen. Wen es interessiert, kann es gerne in meinem Aufsatz nachlesen. Wenn gewünscht, kann ich auch eine Zusammenfassung der Ergebnisse posten.
Und auch mit dem Einfluss der Frischlings- und Überläuferbachen auf die Vermehrungsrate hat Blaser Recht: Diese bilden die Hauptzuwachsträger, nicht die groben Sauen! Dass kam insbesondere in dem Beitrag von Dr. Sodeikat zum Ausdruck, der hierüber eine aktuelle Studie seiner Hochschule vorlegen konnte.
Ob unter diesem Gesichtspunkt eine ganzjährige Bejagungsmöglichkeit von Überläufern zugelassen werden sollte, um u.a. nichtführende Überläuferbachen verstärkt bejagen zu können, oder ob hierbei das Risiko zu hoch ist, dass dann mehr führende Überläuferbache versehentlich geschossen werden: streitig.
Letztlich dürfte dies neben weiteren Aspekten auch die sehr heikle Frage betreffen, wie viel Eigenverantwortung man der Jägerschaft in diesem Punkt zutrauen kann und ob mit der ganzjährigen Freigabe von Überläufern der Sozialstruktur der Rotten mehr genützt als geschadet wird.
WH Lodenmantel