- Registriert
- 4 Aug 2013
- Beiträge
- 641
servus
da komm ich jetzt aber nicht so ganz mit :?
Naja, Physik, Statistik und Mathematik - und weil es gerade eh stürmt und regnet:
Jedes technische System (egal ob elektronisch oder mechanisch oder beides) hat eine gewisse system-immanente Fehlerwahrscheinlichkeit z.B. durch Materialermüdung, Konstruktions-, Montage- oder Reparaturfehlern. Diese Fehlerwahrscheinlichkeit kann man ermitteln, indem man (vereinfacht gesagt) die Fehlerwahrscheinlichkeiten der Einzelelemente des Systems addiert.
Definieren wir mal im Fall einer Jagdwaffe:
"Fehler" = ungewollte Schussabgabe während eines normalen jagdlichen Einsatzes
Zunächst mal betrachtet GANZ OHNE menschliche Einwirkung: das System befindet sich im jagdlichen "Wartezustand", d.h. gespannt und gesichert bzw. entspannt steht die Büchse in der Kanzelecke. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich aufgrund eines technischen Systemversagens nun ungewollt ein Schuß löst, ist bei einem Handspanner in diesem Zustand = 0. Bei einem gespannten, aber gesicherten System kann sich theoretisch aufgrund eines technischen Systemversagens ein Schuß lösen; die Wahrscheinlichkeit kann also nicht 0 sein. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit konkret ist, hängt dann wieder von der Bauart und der jeweiligen Sicherung ab.
Nehmen wir der Einfachheit halber mal an, dass die einzelnen Bauteile eines solchen Systems jeweils eine Fehlerhäufigkeit von 1 pro 10.000.000 Betriebsstunden (d.h. die Waffe steht gespannt und gesichert in der Kanzelecke) haben. Wenn ich nun nur eine potentielle Fehlerquelle habe (Schlagbolzensicherung), ist die Wahrscheinlichkeit einer ungewollten Schussabgabe also 1:10.000.000 pro Stunde Ansitz, mithin also 0,0000001.
Wenn ich z.B. bei einer Abzugssicherung mehrere Bauteile habe, bei deren Versagen sich ein Schuß lösen kann (sagen wir einfach mal: 3 Bauteile), dann ist die Wahrscheinlichkeit einer ungewollten Schussabgabe 3:10.000.000 pro Stunde Ansitz, also 0,0000003.
Die mathematische Wahrscheinlichkeit eines Fehlers aufgrund technischen Systemversagens ist also
Handspannung (0) < Schlagbolzensicherung (0,0000001) < ... < Abzugssicherung (0,0000003).
Bis zu diesem Punkt kann ich also als Hersteller einer Jagdwaffe mit Handspannung ohne zu lügen behaupten, dass meine Waffe systembedingt "sicherer" ist.
Praktisch hat das natürlich keine Relevanz, weil der wichtigste Teil des Gesamtsystems in der Betrachtung fehlt, nämlich der Jäger. Unterstellen wir diesem nun auch mal zunächst eine pauschale Fehlerwahrscheinlichkeit von einer ungewollten Schussabgabe je 10.000 Jagdstunden, d.h. einer Wahrscheinlichkeit von 0,0001. Dann hätten wir bei der Handspannung eine Gesamtfehlerwahrscheinlichkeit von 0,0001000 und bei der Schlabo-Sicherung von 0,00010000001 (bezogen auf die 10.000 Jagdstunden). Da geht dann das Konstruktions- bzw. Sicherungsprinzip schon im statistischen Rauschen unter und kann komplett vernachlässigt werden.
Die spannende Frage ist nun, ob die Fehlerwahrscheinlichkeit des Systemelements "Jäger" in irgendeiner Form mit dem Konstruktionsprinzip der Waffe korreliert - also verursachen Jäger mit Handspannung statistisch signifikant weniger Fehler im Sinne der obigen Definiton als solche mit anderen Sicherungen? Und spätestens jetzt müssen wir uns mindestens mit Ergonomie, Psychologie und Physiologie auseinandersetzen und uns mit Fragen beschäftigen wie:
- Führen offensiv kommunizierte Sicherheitsfeatures zu einem falschen Sicherheitsgefühl beim Benutzer, mithin zu Nachlässigkeit oder gar zu erhöhtem Risikoverhalten, was die eigentlich positive Wirkung des Sicherungsfeatures ins Gegenteil verkehrt?
- Führt ein Systemwechsel auf ein theoretisch sichereres System z.B. mit Handspannung gerade wegen des Systemwechsels zu einer höheren Fehlerwahrscheinlichkeit? (Autoversicherer wissen z.B. von einer signifikanten Steigerung der Unfallhäufigkeit in den ersten Wochen / Monaten nach dem Wechsel des Fahrzeugmodells bzw. Herstellers).
- Entspricht die Benutzerführung des Sicherungssystems dem Gewohnten / Bekannten / ergonomisch Optimalem? (Wie war das noch? Mauser 98er-System ist rechts= sicher, aber Mauser M03 Handspanner ist rechts = scharf...)
- usw. usf.
Und zu diesen Fragen an der Schnittstelle Mensch - Jagdwaffe gibt es meines Wissens keine validen Untersuchungen und Zahlen (Die Aussage "80% unserer Käufer finden..." hat genauso wenig Evidenz wie "Alle in meinem jagdlichen Umfeld, denen ich täglich mein Wissen vermittele und die aus lauter Verzweifelung nicht mehr widersprechen, sehen das genauso" - auch wenn es vielen hier im Forum schwer fallen wird, das zu glauben...).
Insofern wissen wir de facto: nichts! Alle absolut formulierten Aussagen zu diesem Themenkomplex sind bestenfalls eingeschränkte Erfahrungswerte, schlimmstenfalls reine Esoterik. Der beste Ratschlag, den man mit halbwegs gutem Gewissen geben kann, ist dann wohl auch: verwende ein System, mit dem Du persönlich Dich wohl und sicher fühlst und übe mit diesem System!
Ist doch eigentlich ganz einfach :biggrin:
Prost!
Zuletzt bearbeitet: