Am Rand einer Bergwiese habe ich schon seit Jahren einen kleinen Erdsitz, eigentlich nur ein Brett am Boden und eine Querstange zum Auflegen, wenn was kommt. So jage ich am liebsten, vom Boden aus, ohne viel Schnickschnack, mittendrin in der Natur.
Im Frühjahr hatte ich des Öfteren daran gedacht, dass ich da mal die tiefen Randäste der Tannen und Fichten zurückschneiden sollte. Irgendwie kam ich aber nie dazu oder war, genauer gesagt, einfach zu bequem dazu gewesen.
Die Quittung dafür bekam ich dann vorgestern, als ich das erste Mal wieder da oben saß. Bei leichtem Regenwetter trat schon früh ein Bock am gegenüberliegenden Rand der Wiese aus. Aber wegen der tiefhängenden Äste kam ich nicht zum Schuß. Nur ein, zwei Meter weiter hätte er ziehen müssen, dann hätte ich ihn frei gehabt. Aber den Gefallen tat er mir nicht, sondern verschwand irgendwann wieder dahin, wo er hergekommen war.
Also bin ich gestern erstmal mit Säge und Astschere da hoch und hab mir ausreichend Schußfeld geschaffen. Heute Morgen dann ein neuer Versuch. Der Weg ist steil und ich brauche etwas Zeit, aber kurz nach 5 Uhr sitze ich mit Waffe und Dackel auf dem Sitz.
Erster Anblick ist ein Hase, der an uns vorbei über die Wiese hoppelt. Die Dackelhündin zittert am ganzen Körper, aber sie bleibt ruhig. Irgendwann taucht dann auf der Kuppe des Berges eine Rehsilhouette auf. Ist aber ein weibliches Stück, welches langsam Richtung Wald zieht.
Die Zeit schreitet fort. Na gut, das wird's dann wohl gewesen sein, denke ich. War es aber nicht - denn dann steht doch plötzlich noch ein Reh wieder am gegenüberliegenden Rand der Wiese. Ich erkenne gleich, dass es der Bock von vorgestern ist. Dieses Mal ist der Schuß keine große Kunst ohne die störenden Äste. Der Bock bleibt am Platz, schlegelt noch kurz und dann ist Ruhe. Den Dackel muss ich allerdings nochmal kurz zu Letzterem ermahnen. Als er sich wieder beruhigt hat, gehen wir zum Bock.
Aufbrechen unter genauer Beobachtung eines Kolkraben-Paares und der einfachere Teil der Jagd ist geschafft. Die Bergung des Wildes wird etwas mühsamer werden. Mit dem Auto hinfahren ist nicht drin. Ich überlege, auf welcher Seite des Berges ich runter soll und entscheide mich dann für die Seite, wo ich unten im Tal das Auto stehen habe. Dazu muss ich den Bock erstmal ein Stück weit wieder den Hang hoch ziehen, dann geht es über ein Kuppe und auf der anderen Seite wieder runter. Soweit ich Wiese habe, ziehe ich den Bock hinter mir her. Über den Waldboden mag ich ihn aber nicht ziehen, also entschliesse ich mich, den Bock erstmal liegen zu lassen, laufe runter ins Tal und versorge Gewehr und alles andere Gerödel und kehre mit leerem Rucksack wieder zurück. Dort wird der Bock drin verstaut und wandert ebenso mit ins Tal.
Das ist das Schöne an der morgendlichen Jagd: Man kann sich Zeit lassen und stolpert nicht irgendwann im Dunkeln herum. Von daher war es vielleicht ganz gut, dass ich ihn vorgestern Abend nicht schon bekommen habe. Und ja, alt ist er nicht, aber ein bisschen Mühe hat er immerhin gemacht. Dann passt das für mich auch.