Naturnaher Wald - was ist das eigentlich?

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Gude,

genervt aus der Lethargie aufgeweckt durch das stetig und gebetsmühlenhaft vorgetragene Mantra: "Der Hobbyjäger ist schuld, dass die (Reh-)Wilddichten exorbitant sind, der daraus resultiernde Verbiss verhindert den naturnahen Waldumbau", bin ich mal auf die Suche gegangen, wie denn ein naturnaher Wald eigentlich aussieht. Ist es der von heutigen Förstern beschriebene "gesunde Mischwald, altersklassengestuft"? Ist der Begriff ein Euphemismus, der als Vehikel für politische und wirtschaftliche Interessen dient?

Fündig geworden bin ich irgendwo im Netz, bei einer Studie. Dort wurde untersucht, welchen Einfluss große Pflanzenfresser auf die Landschaft haben. Wenn man also die naturnahe Landschaft als befreit vom wesentlichen Einfluss des Menschen definiert, kann man hier einige Erkenntnisse gewinnen. Wer sich den Text nicht vollständig antun möchte bekommt hier die Quintessenz:

Pflanzenfresser können bei der Bewirtschaftung von
Wäldern stören, weil sie gepflanzte oder aus Naturverjüngung
hervorgegangene Jungbäume fressen oder in
ihrem Wuchs beeinträchtigen (Abb. 12). Dem Waldbauern
ist demnach, ebenso wie dem Kartoffelbauern, der seinen
Ertrag durch Mäuse oder Wildschweine geschmälert
sieht, kein Vorwurf zu machen, wenn er die Reduktion
der Schalenwildbestände auf ein für ihn erträgliches Maß
fordert. Denn Land- wie Forstwirt mag ein klar erfaßbarer
wirtschaftlicher Schaden entstehen.
Problematisch wird es dann, wenn die Reduktion von
Pflanzenfressern im Wald damit begründet wird, die
Schalenwildbestände müßten auf ein „natürliches” Maß
zurückgeführt werden. Was ist natürlich? Die
Schadlosigkeit gilt gemeinhin als Maß für die Natürlichkeit!
Doch Nutzen und Schaden, Bewertungen aus dem
Alltag des wirtschaftenden Menschen, taugen nicht als Kriterium
zur Beurteilung der Frage, wie sich Pflanze und
Pflanzenfresser in naturnahen Ökosystemen gegenseitig
beeinflussen, erst recht können sie nicht eine wissenschaftliche
Klärung entsprechender Fragestellungen vorwegnehmen.
Deshalb ist auch nicht einzusehen, daß selbst in Waldschutzgebieten
die Festlegung der Schalenwilddichten sich
primär an Schadenserwägungen orientiert und diese zur
Grundlage für die Regulierung der Pflanzenfresserpopulationen
werden.
Der von der naturgemäßen Forstwirtschaft angestrebte
Dauerwald mit stets beschattetem Boden, der nur
unterschiedlich alte Bäume der „Schlußgesellschaft“ enthält,
jedoch keine offenen Bereiche und keine anderen
Sukzessionsstadien, dürfte nach den Erkenntnissen des
„Quaternary Park“ in vielen Gebieten nicht der Naturlandschaft
entsprechen. Außerdem bietet ein solcher Wald
selbst zahlreichen als „typische Waldarten“ eingeordneten
Pflanzen und Tieren von Totholz bewohnenden Käfern
bis zu den Rauhfußhühnern keinen ausreichenden Lebensraum.
Wir brauchen daher zur Holzproduktion und als
Lebensraum für bedrohte Arten nicht nur einen Waldtyp,
sondern verschiedenartige Wälder (vgl. PLACHTER
1997). Größere Flächen sollten für Totalreservate bereitgestellt
werden, in denen natürliche Prozesse ungestört
ablaufen können. Und was bisher in Deutschland weitgehend
fehlt, ist der halboffene, durch Huftiere mitgestaltete
„Weidewald“, in dem es keine scharfen Grenzen zwischen
Wald, Hecken und Offenland gibt.



VG
P
 
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Interessant finde ich vor allem die Forderung nach dem "Weidewald" - der ja in Deutschland als wohl erste Forstwirtschaftliche "Gewinnsteigerungsmaßnahme" verboten wurde - wieder ein Beispiel, das der Mensch - und ausdrücklich auch der akademisch ausgebildete Fachmann - nur einen sehr begrenzten Blick über die komplizierten und langfristigen Zusammenhänge der Natur hat.
 
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Moin!

Vorsicht Berni! Das, was Du da anprangerst war nach damaligem Verständnis das Mittel der Wahl! Das Vieh brauchte man nicht mehr im Wald, dafür aber viel Holz. ;)

Viele Grüße,

Joe
 
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Ich finde auch nichts Unanständiges daran eine reduzierte Wilddichte aus wirtschaftlichen Gründen zu fordern. Nur sollte man dann nicht so tun als ginge es um ein natürliches Gleichgewicht oder Ähnliches....
 
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Ich glaube inzwischen, dass der "Naturnahe Wald" eine gut verpackte Idee des oberen Forstmanagements ist. Cost cutting par execellence - der forstpersonalfreie Wald, der stehend an Selbstwerber bei ebay vertickt werden kann.....

basti
 
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Hamburger_Jung schrieb:
Ich finde auch nichts Unanständiges daran eine reduzierte Wilddichte aus wirtschaftlichen Gründen zu fordern. Nur sollte man dann nicht so tun als ginge es um ein natürliches Gleichgewicht oder Ähnliches....

Ein witziges Thema! Die Diskussionen mit der staatlichen Forstpartie laufen immer gleich. Am Anfang steht das wirtschaftliche im Raum, dass man dem Steuerzahler als Eigentümer schuldig ist ein ordentliches Ergebnis zu erzielen und die Versorgung mit einem wichtigen Rohstoff eine gesellschaftliche Aufgabe.
Der Hinweis, dass ja die Holzwirtschaft und die Verwaltung im Bundesland getrennt wurden und nur deshalb ein pseudopositives Ergebnis erzielt wird, wobei man sich fragt warum im Winter der Beamte an zwei Wochentagen einem Bock in der Schonzeit hinterher rennen muss führt dann immer zum Waldumbau und naturnahen Wald und der Aufgabe des Staates diesen für zukünftige Generationen zu schaffen und zu erhalten.

Ich sitze gerne mit den jungs zusammen, auch wenn man nicht immer einer Meinung ist. Wir gehen ja schliesslich alle gerne auf die Jagd... :wink:
 
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saujager1977 schrieb:
Ich sitze gerne mit den jungs zusammen, auch wenn man nicht immer einer Meinung ist. Wir gehen ja schliesslich alle gerne auf die Jagd... :wink:
Ich auch. Muss allerdings aufpassen, dass mich dabei keiner ausm Hegering sieht..... :wink:

basti
 
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ich stelle mir immer wieder die Frage ob Schalenwild wirklich in einem nicht Wirtschaftswald den gesamten Aufwuchs zerstören kann
 
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marterhund schrieb:
ich stelle mir immer wieder die Frage ob Schalenwild wirklich in einem nicht Wirtschaftswald den gesamten Aufwuchs zerstören kann

Studien aus der Schweiz und Bialowieza habe ergeben, das sich in einem Naturwald, lediglich die Umtriebszeit erhöht.
Das Wild formt seinen eigenen Lebensraum und schaft durch Verbiss oder offenhalten von Flächen neue Biotope, die von anderen Arten genutzt werden, die sonst dort nicht existieren könnten.
Tote Bäume fallen um und bilden teils natürliche Barrieren in deren Schutz eine neue Generation von Bäumen wachsen kann.
 
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zu dem thema fällt mir als landwirt und winzer ein spruch ein , den ich vor langer zeit einmal gelesen habe. "am besten hats die forstpartie, der wald der wächst auch ohne sie" :lol: ob das allerdings stimmen kann, wenn dann niemand mehr das wild kurz hält ? :roll: zumindest käme man dem wald relativ natur nah. denke aber in einem kultivierten land, wie bei uns wird das mit einem bewirtschafteten wald sinnvoller sein.
 
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OtmarZitlau schrieb:
marterhund schrieb:
ich stelle mir immer wieder die Frage ob Schalenwild wirklich in einem nicht Wirtschaftswald den gesamten Aufwuchs zerstören kann

Studien aus der Schweiz und Bialowieza habe ergeben, das sich in einem Naturwald, lediglich die Umtriebszeit erhöht.
Das Wild formt seinen eigenen Lebensraum und schaft durch Verbiss oder offenhalten von Flächen neue Biotope, die von anderen Arten genutzt werden, die sonst dort nicht existieren könnten.
Tote Bäume fallen um und bilden teils natürliche Barrieren in deren Schutz eine neue Generation von Bäumen wachsen kann.
soweit ich weis gibt es Eigentlich in einem Nationalpark keine Umtriebszeit
 
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Hamburger_Jung schrieb:
Ich finde auch nichts Unanständiges daran eine reduzierte Wilddichte aus wirtschaftlichen Gründen zu fordern. Nur sollte man dann nicht so tun als ginge es um ein natürliches Gleichgewicht oder Ähnliches....

Das Recht stehe ich jedem Privatwaldbesitzer zu, der an Reibachmaximierung interessiert ist. Ist schließlich sein Eigentum, er darf bestimmen, wie dort zu wirtschaften ist.

Problematisch sehe ich das aber bei Staats- und Gemeindewald. Dort hat der Wald nicht nur wirtschaftliche Funktion, sondern ist gleichzeitig
- Lebensraum für Wildtiere,
- Erholungsfläche für Menschen,
- Sauerstoffgenerator,
- Landschaftsprägendes Kulturgut
-etc...

Mit anderen Worten: Der Wald hat nicht in erster Linie wirtschaftlichen Ertrag zu generieren, sondern erfüllt mehrere gesellschaftlich bedeutsame, oft besungene, Funktionen.

Das unsägliche Motto: "Wald vor Wild" soll ja Angst erzeugen, das Wild fresse den Wald auf. Und dieser sei dann weg. Oder kaputt. Oder so. Auf jeden Fall nicht so, wie die Forstpartie es sich wünscht. Wildfrei, Käferfrei, leicht zu ernten, eine feine Forstplantage.

Exemplarisch möchte ich die Arroganz einiger anhand zweier Zitate des hiesigen damaligen FAL verdeutlichen.
"Liebe Jäger, wir brauchen Ihre Hilfe beim Umbau zum naturnahen Waldbau. Sie sind die einzigen, die das Wachstum des Waldes mit Waffengewalt verteidigen dürfen".

"Meine Herren, die Schwarzwildpopulation hat in unserer Region soweit zugenommen, dass die Mast fast vollständig von den Schwarzkitteln aufgenommen wird. Wir machen uns Sorgen um die natürliche Reproduktionskraft des Waldes. Greifen Sie ein, bejagen Sie Schwarzwild strengstmöglich."

VG
P
 

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