Weihnachtsgeschichte:
Vor ca. 20 Jahren habe ich an Heiligabend vormittags die Saukirrungen in dem Revier, in dem ich damals jagte, bestückt. Und da ich sentimentalerweise meine, dass die Viecher auch merken sollen, dass dieser Tag etwas besonderes ist, habe ich es an diesem Tag besonders gut gemeint (es gab damals noch keine "Kirrungsverordnung") und jede Kirrung sollte eine ordentliche Portion, also mehr als sonst, aus meinem Eimerchen bekommen.
Mehr aus Gewohnheit denn aus dem Grunde etwas erlegen zu wollen, hatte ich auch meinen Repetierer dabei.
Es war an diesem Tag kalt, richtig kalt, wir hatten minus 10 Grad und so stapfte ich, Waffe auf dem Rücken und Eimerchen in der Hand, nachdem ich mein Auto vorne auf dem Hauptweg geparkt hatte, den kurzen, vielleicht 100 Meter langen schmalen Weg an eben jedem Heiligabend durch den Wald zu einer der Kirrungen.
Die Sonne schien, kein Wölkchen am Himmel, der Wald war vom Frost überzuckert und ich marschierte, knirschend bei jedem Schritt entlang eines jüngeren Buchenbestandes den schmalen Weg nach hinten. Plötzlich war rechts von mir im Buchenbestand Bewegung. Ein Überläufer stand keine fünf Meter von mir im Bestand und äugte mich an. Ich blieb stehen und so standen wir uns gegenüber, der Überläufer im Wald, 5 Meter von mir weg und ich, Eimerchen in der Hand.
Ich stellte das Eimerchen ab und nahm die Waffe, eher unschlüssig von der Schulter.
Der Überläufer blinzelte im Sonnenlicht. Ich nahm die Waffe hoch, das Absehen stand auf der Stirn des Überläufers.
Und ich dachte nach - an Heiligabend ? Ich nahm die Waffe runter und schaute mir den Überläufer an. Gut im Futter, keine Verletzung zu sehen, krank schien er mir nicht zu sein.
Ich entschloss mich, weiter zu gehen. Ich nahm das Eimerchen, ging die restlichen Schritte zur Kirrung, verteilte den Mais. Ohne leise zu sein, ganz normal.
Ich ging wieder zurück.
Der Überläufer stand immer noch da, kratzte sich mit dem Hinterlauf und streckte und räckelte sich.
Ich ging weiter und dachte: "Schöne Weihnachten."
Spätestens seit diesem Tag gilt für Heiligabend: Es wird nicht gejagt, so wie das schon unsere Altvorderen so gehalten haben.