Re: Durchschlagsleistung, schwere, lange Geschosse und Drall
winchester schrieb:
Wo ich die hauptsächliche Schwierigkeit in der Abgrenzung des letztendlichen Effektes des Anstellwinkels sehe, ist dass sich bei Jagd- (nicht Vollmantel-) Geschossen viele Faktoren ueberlagern, von denen einige vor und andere nach dem Schuss nicht einzuschätzen gehen.
Je nachdem, wo und wie das Geschoss auftrifft, reicht es z.B. wenn es eine Rippe, oder einen noch stabileren Knochen tangiert. Schon ist eine asymmetrische Aufpilzung und dadurch eine enorme seitenungleiche Belastung gegeben, die ohne Weiteres ein Ueberschlagen des Geschosses bewirken kann - und was soll da ein Anstellwinkel von <1 Grad noch ausmachen? Bzw. wie will man dessen Effekt da noch herauslesen?
Noch ein altbekannter Faktor ist, dass ein Geschoss umso frueher aufpilzt und umso frueher Energie abgibt, je höher die Vziel ist. Also je näher das Ziel sich von der Muendung befindet. Genau denselben Effekt - verfruehte Energieabgabe - soll der Anstellwinkel ergeben. Und wie will man diese beiden Faktoren voneinender abgrenzen? Selbst unter Laborbedingungen wird sowas extrem schwierig sein.
Letztendlich, was wird das fuer praktische Bedeutung im jagdlichen Alltag ergeben? Ausser dass man hochqualitative "Premium"Geschosse verwendet - was ein denkender Jäger auch so machen wird - wird es sonst am Verhalten von Otto Normaljäger absolut nichts ändern. Oder?
Wenn eine Sau nun auf 40 Meter auftaucht, soll man dann schnell noch 100 Meter zuruecklaufen, um einen möglichst guenstigen Anstellwinkel zu erzielen? :roll:
Du hast recht, die Diskussion ist für die Katz! Vor allem wenn sie von Ballistik-Banausen (die wir ja nun mal leider alle sind) geführt wird.
Eines ist, wie von dir schon angemerkt, jedoch sicher: Aus der jagdlichen Praxis kann man definitiv keine Rückschlüsse bezgl. des Geschossverhaltens bei Schrägstellung ableiten.
Es spielen einfach zu viele Variablen mit:
• Das Zielmedium ist nicht homogen
• die Geschwindigkeit des Geschosses ist nicht immer die Gleiche
• Unwucht des Geschosses. Normalerweise sorgt eine Überstabilisierung dafür, dass die Schrägstellung des Geschosses geringer wird - wenn da nur nicht die Geschossunwucht wäre!
• unterschiedliche Entfernungen
• und den TATSÄCHLICHEN Anstellwinkel wird man auch nie kennen.
Wie soll ein Jäger das alles in Korrelation bringen, so dass sich ein sinnvolles Bild ergibt.
Solche Untersuchungen würden nur unter Laborbedingungen zu sinnvollen Ergebnissen führen:
• mit einem homogenen Zielmedium
• mit ausgesuchten Geschossen und Waffen
• der genauen Kenntnis der Flugbahn der Geschosse. Um die kritischen Entfernungen herauszufinden, wo das Geschoss z.B. noch stark taumelt bzw. sich stabilisiert.
• der Kenntnis des tatsächlichen Anstellwinkels beim Eintritt in das Zielmedium. Es nutzt alles nichts, wenn man zwar eine Wirkung beobachtet, den tatsächlich dazugehörigen Winkel UND VOR ALLEM AUCH DIE DAZUGEHÖRIGE GESCHWINDIGKEIT (die diese Wirkung verursacht) nicht kennt. Der Winkel ist nicht alles, die Bremskräfte (und somit auch die Energieabgabe), die beim Eintritt in ein Zielmedium entstehen, sind sehr stark von der Geschossgeschwindigkeit abhängig.
• Verwendung von Highspeed-Kameras
• Auswertung der Ergebnisse unter Laborbedingung.
• usw.
Die Frage dich sich dann aber stellt ist: Was nützen diese unter Laborbedingungen gewonnenen Erkenntnisse in der Praxis, wenn all diese Annahmen, die zu den Erkenntnissen geführt haben, nicht mehr zutreffen. Ich befürchte, da würde sich selbst der Kneubuehl schwer tun, eine Antwort zu geben.
Was den Überschlag eines nichtdeformierenden Geschosses beim Eintritt in ein festes Medium angeht, kann man jedoch mit Sicherheit sagen: Das bisschen Drehimpuls (bei lediglich 8-9 Joule Rotationsenergie) kann den immens hohen asymmetrischen Bremskräften, die selbst bei minimalem Anstellwinkel entstehen würden, nicht standhalten. Es könnte durchaus sein, dass selbst 1° (natürlich wiederum abhängig von verschiedenen Faktoren – z.B. der Geschwindigkeit) bereits zu viel ist. Es müssen also auch noch andere Mechanismen wirken, sollte sich ein Geschoss nach dem Eintritt nicht überschlagen – wie z.B. die Schulterstabilisierung.