Brauchtum, Schnee von gestern?!

Registriert
14 Dez 2000
Beiträge
3.072
<BLOCKQUOTE><font size="1" face="Verdana, Arial">Zitat:</font><HR>Original erstellt von Jagdhelfer:
Mal etwas grundsätzliches: Warum werden in Deutschland dauernd althergebrachte Traditionen und Brauchtümer in Frage gestellt, lächerlich gemacht und schlecht geredet?
Ob es sich nun um jagdliches Brauchtum und den Begriff der Waidgerechtigkeit, Studentenverbindungen (nein, ich bin kein Verbindungsmitglied), deutsches Liedgut oder sonstwas handelt, alles was schon vor 1945 existiert hat (und auch einiges was es erst danach gab), wird aus einem sehr zweifelhaften Grund von einigen Menschen als alt, anrüchig und am besten auch noch als "geschichtlich vorbelastet" angesehen und bezeichnet. Und diejenigen, die sich gegen diesen Trend des "madig-machens" stellen, werden direkt in eine wohlbekannte Schublade gesteckt.
Wenn man sich mal im europäischen Ausland (z.B. Schweiz/Österreich) oder auch in Übersee (USA) umsieht, merkt man dass die Menschen dort (häufig) wesentlich natürlicher und selbstverständlicher mit ihren Traditionen umgehen als wir in Deutschland.

Eigentlich bemerkenswert, wenn man überlegt dass ein Volk sich stark durch seine überlieferten und gewachsenen Traditionen definiert. Symptom einer Identitätskrise?

[ 05. September 2003: Beitrag editiert von: Jagdhelfer ]
<HR></BLOCKQUOTE>

Wie wahr, wie wahr!!!!!!

Wer sich hier die deutsche Flagge vor´s Haus hängt, wird schon schräg angeschaut. Das Aushängen der amerikanischen Flagge in Deutschland fällt keinem mehr auf.......
icon_confused.gif
icon_confused.gif


Schade das wir uns mit einigen Selbstverständlichkeiten so schwer tun.

wipi
 
Registriert
12 Mai 2002
Beiträge
5.182
Kein Wunder das hier die Meinungen auseinander gehen.
Gibt es doch Brauchtum, welches einfach nicht mehr in unsere Zeit passt und das sollte man dann auch in Ehren einschlafen lassen. Schwierig ist natürlich, die Grenze zu ziehen.

Mich hat mal einer angemacht, weil mein Jagdmesser einen hellen Micarta Griff hat. Das sei unwaidmännisch, da gehöre ein Hirschhorngriff dran und nichts anderes!

Also, auf so ein Brauchtum kann ich gut verzichten. Nebenbei bemerkt, kommt das Material für Hirschhorngriffe nicht etwa von einheimischem Wild sondern stammt von einem asiatischem Hirsch.
 
Registriert
4 Sep 2003
Beiträge
1.102
Ich sehe auch nicht in allen Traditionen Sinn, und ich sehe nicht jeden jagdlichen Brauch als Zwang. Sich beim Aufbrechen die Ärmel hochzukrempeln ist das logischste von der Welt, wir sind ja (zum grössten Teil) keine adligen Jäger mehr, die aus Etikette (nein, "die Ärmel unten lassen" hat nichts mit Respekt vor dem Tier zu tun, wie manche behaupten) dieses Ritual vollziehen. Ausserdem haben wir meist keine Dienstmagd die uns die Sachen wäscht, sondern meist eine Frau die uns wat vertellt wenn wir mit schweisstriefenden Klamotten nach Hause kommen.

Ich glaube, dass das wichtigste Element des jagdl. Brauchtum ist, dem lebenden und dem erlegten Tier Respekt entgegenzubringen.
Die meisten Bräuche der deutschen waidgerechten Jagd beziehen sich auf genau diese eine Sache: Respekt vor der Kreatur.
Warum sonst der letzte Bissen, die Regel nicht über die Strecke zu steigen, das verblasen der Strecke, etc.?

Worauf ich damit hinaus will ist folgendes: Wenn ich um die Bedeutung der einzelnen Bräuche der waidgerechten Jagd weiss, und verstehe warum dort bestimmte Verhaltensweisen gefordert werden, kann ich bestimmte "Vorschriften" für mich ablegen, da sie keinerlei Bedutung haben und nur ein unnützes und eitles Relikt wie z.B. das nicht-Hochkrämpeln der Ärmel, sind.

Allerdings wird derjenige, der um die Bedeutung der Tradition weiss, nur sehr wenige Bräuche nicht befolgen und die wichtigsten immer einhalten. Derjenige, der in den Bräuchen allerdings nur ein Relikt aus grauer Vorzeit sieht und diese rundherum als überholt und unnütz ablehnt, ist für mich ein ignoranter Schiesser und sollte vielleicht lieber Skateboard fahren.
 
Registriert
28 Mai 2003
Beiträge
1.914
Die Bewahrung traditionellen Brauchtums führt leider sehr oft zum nutzlosen Festhalten an überkommenen Traditionen.

Sicherlich hat jeder hier den Applaus auf seiner Seite, der zur Pflege jagdlichen Brauchtums aufruft. Ich habe aber schon erlebt, daß die simple Verwendung von Signalkleidung auf Drückjagden von vielen Traditionalisten als unnützes neumodisches Zeugs abgestempelt wird. Sicher, ich mag meine Mauser und Loden, aber schon bei den Diskussionen um Kirrungen, Rickenabschuss und Jagdzeiten geht das Gefecht zwischen Tradition und Moderne los.

Tradition sollte nicht in krampfhafte Zukunftsangst und Fortschrittsverhinderung ausarten, gerade dies aber erlebt man im Jagdbereich sehr häufig.

Was die ewige Lamentiererei um die geknechteten Deutschen und ihren unterdrückten Nationalstolz angeht: Ich kann es nicht mehr hören.

Wenn Ihr Euch den Adenauer in den Schrebergarten hängen wollt, dann tut es bitte, niemand hindert Euch daran.

Wenn Ihr nach dem ersten morgendllichen Gähnen "Vive l'Allemagne" brüllen wollt, dann tut es bitte, von mir aus auch durchs aufgerissene Fenster.

Wenn Ihr im Supermarkt, beim Autokauf und bei der Wahl des Urlaubszieles strikt auf das "Made in Germany" achten wollt, dann tut es bitte.

Aber überlasst es mir dann auch, diese Dinge mit einem Schmunzeln zu beobachten, denn ich kenne das Ausland und weiss, daß sich diese ganzen Nationalstolzvorbilder durch ihr patriotisches Gehampel letztendlich nicht stärker stellen, sondern übertrieben mit sich selbst beschäftigen und in irgendwelchen absurden völkischen Alleinstellungsmerkmalen verheddern.

In diesem Land pflegt man keinen übertriebenen patriotischen Kokolores, man hat man sehr gewissenhat seine Vergangenheit aufgearbeitet und man ist trotz allgegenwärtiger Gegenbeispiele weit weniger mit dem Problem der Xenophobie infiziert als in den meisten Nachbarstaaten. Dies alles macht uns nicht schwach, sondern stark. Leider nur begreifen das die wenigsten.

Dompfaff
 
Registriert
5 Aug 2002
Beiträge
21.082
Noch ein Beispiel zum Brauchtum:

Schweißprüfung für Teckel im WW, Cerviraptor nahm mit Paula daran teil, ich war Zuschauer.

Während C. hinter Paula der Scvhweißfährte folgte, nahm mich einer der Richter beiseite und monierte, dass der Förster da am Schweißriemen keinen Hut aufhätte. Ich fragte "Ja, und?".
Na ja, man achte bei so Prüfungen auch auf das Brauchtum und wie wolle er denn, falls er das Stück finden würde, den Bruch entgegen nehmen?
"Ihr Richterkollege hat eben zur Fährte gesagt, dass ein Jagdgast ein Stück beschossen habe und es sei in diese Richtung gezogen. Wenn hier einer den Bruch bekommt, dann der Jagdgast, der ein Stück davon an den Hundeführer abgibt, der es dem Hund an der Halsung befestigt. Oder sehe ich das falsch?"
Der zweite Richter grinste heimlich unheimlich.
Nach 12 Minuten hatten Paula und C. die 1.000 m hinter sich gebracht und der brauchtumsliebende Richter wünschte WH und übergab C. mit einem Grinsen (wegen des fehlenden Hutes) einen Bruch. C. nahm sein Messer und holte sich den Bruch auf der blanken Waffe. Es war übrigens ein Buchenbruch...
Will sagen: Wenn man schon auf's Brauchtum pocht, dann sollte man es auch beherrschen.
 
Registriert
6 Mai 2002
Beiträge
2.356
<BLOCKQUOTE><font size="1" face="Verdana, Arial">Zitat:</font><HR>Original erstellt von blaserr93:

Es war übrigens ein Buchenbruch...
<HR></BLOCKQUOTE>

icon_biggrin.gif
icon_biggrin.gif
icon_biggrin.gif
 
A

anonym

Guest
Zur mittlerweile (!) allgemein bejahten Bruchgerechtigkeit der Buche siehe z.B. Frevert, Jagdliches Brauchtum, 2001, S. 53 (oder auch schon vor zwanzig Jahren ebenso die 11. Aufl. 1981, S. 67).

Carcano

[ 07. September 2003: Beitrag editiert von: carcano ]
 
A

anonym

Guest
<BLOCKQUOTE><font size="1" face="Verdana, Arial">Zitat:</font><HR>Original erstellt von Jagdhelfer:

Eigentlich bemerkenswert, wenn man überlegt dass ein Volk sich stark durch seine überlieferten und gewachsenen Traditionen definiert. Symptom einer Identitätskrise?

[ 05. September 2003: Beitrag editiert von: Jagdhelfer ]
<HR></BLOCKQUOTE>

Zu Deiner Frage wollt ich ganz einfach noch dringend: JA ! sagen, NACHHALTIG ! Und bei den Österreichern, richtig bemerkt, ist das etwas anders, rohrkrepierend und sehr spät aufgetreten, so ein bissl.


Mir ganz wichtig: " Brauchtum hat auch eine Aussenwirkung!" , genau: wenn dustere, bewaffnete Mannen sich zunehmend besaufen, blasen in einer Kneipe, dann die Wildsau rauslassen "am Pürzel,joho!" und singen - bin ich auf jeden Fall schon lange weg. So manches "Brauchtum" kommt in einer modernen Kleinstadt auf dem Lande schon als hochbizarr und würdelos rüber.
Du hast ja schon selbst gesagt, daß Teile des Brauchtums überkommen sind(Jägerschlag, Jagdgericht, Ärmel hoch, all die netten Brüchlein und Signale...), man drauf verzichten mag. Um die Würde geht`s doch. Also sind nur Dinge wie das Verblasen der Strecke bei Gesellschaftsjagden noch allgemeinverbindlich und erhaltenswert.

->Olaf: das Helm-ab-zum-Gebet/Hut-ab-zum-Halali ist ein typischer Neubrauch für mich - wird seit paar Jahren wortlos aber rigoros von böse blickenden Opis unter Prothesenmümmeln auf Gesellschaftsjagden propagiert. Sie brechen die Würde des Halali durch dieses "over-acting" von Betroffenheit (ist wie ein salutierendes "Entschuldigung!" an die: Kadaver, krank!) und man denkt zudem an die Gruft und wer als nächster uns zum Falschaufzäumen des Bruches zwingen mag...Grausig ! Denn wer beim "Halali" nicht gerührt/nachdenklich wird, de hat sowieso nen Frontalhirnschaden, denk ich. Mein Hut BLEIBT ALSO EISERN AUF DEM HIRN. Sonst verlier ich das ungewohnte Teil sowieso!
icon_biggrin.gif
 
Registriert
20 Feb 2003
Beiträge
8.623
Und ich habe noch meinen Lebtag keinen Hut zum Halali abgezogen und werde das auch nicht mal in Preussens Land tun. Außer Preußen habe ich auch noch keinen lupfen sehen. Auf dem Friedhof, in der Kirche und in eines Freundes Haus ziehe ich den Hut. Wer es woanderst macht, ist wohl Rehzähler und/oder servil.
Den Hut beim Halali ziehen ist ja wohl die offensichlichste und deswegen erbarmungswürdigste Scheinheiligkeit, die vorstellbar ist.
 
A

anonym

Guest
<BLOCKQUOTE><font size="1" face="Verdana, Arial">Zitat:</font><HR>Original erstellt von Tiroler Bracke:
Und ich habe noch meinen Lebtag keinen Hut zum Halali abgezogen und werde das auch nicht mal in Preussens Land tun. Außer Preußen habe ich auch noch keinen lupfen sehen. Auf dem Friedhof, in der Kirche und in eines Freundes Haus ziehe ich den Hut. Wer es woanderst macht, ist wohl Rehzähler und/oder servil.
Den Hut beim Halali ziehen ist ja wohl die offensichlichste und deswegen erbarmungswürdigste Scheinheiligkeit, die vorstellbar ist.
<HR></BLOCKQUOTE>

1.wenn man ahnung hätte und sich mit der Geschichte Jagd der befassen würde, wüßte man das das Halali ( ha la lit, da liegt er)aus dem französischen stammt und bei den Paforcejagden benutzt würde und dort dem wehrhaften Wild auf diese Weise respekt erwiesen wurde.

2. Leue die beim Halali den hut abnehmen,als Rehzähler oder servil abzuqualifizieren ist ein zeichen typischer deutscher Kleingeistigkeit nach dem Motto " an (meinem) Wesen hat der rest zu genesen.

3. dann ist ja wohl eine noch größere Scheinheiligkeit einem Stück den "letzten Bissen" in den Hals zu schieben, oder eher eine Verhöhung der Kreatur

[ 08. September 2003: Beitrag editiert von: OlafD ]
 
Registriert
19 Jan 2001
Beiträge
4.465
<BLOCKQUOTE><font size="1" face="Verdana, Arial">Zitat:</font><HR>Original erstellt von Tiroler Bracke:
Und ich habe noch meinen Lebtag keinen Hut zum Halali abgezogen und werde das auch nicht mal in Preussens Land tun...<HR></BLOCKQUOTE>

Dann versuch das mal hier, da wird man ihn dir runterschießen...
icon_biggrin.gif
icon_biggrin.gif
icon_biggrin.gif
 
Registriert
2 Jul 2002
Beiträge
4.076
Da brauchst du nur die Fronten zu wechseln! Bläser dürfen den Hut immer aufbehalten
icon_wink.gif
. In meinen Jagdlichen Kreisen wird der Hut beim Halali abgezogen und ich finde es schön.

Die Buche wird bruchgerecht? Da sieht man mal wieder, wenn es oft genug falsch gemacht wird, wird es zur Regel gekürt. Würde mich mal interessieren, wieviele das einen Punktabzug bei der Jägerprüfung gekostet hat...
 
Registriert
2 Jul 2002
Beiträge
4.076
<BLOCKQUOTE><font size="1" face="Verdana, Arial">Zitat:</font><HR>Original erstellt von blaserr93:
Also ehe jetzt hier irgenwelche ein total falsches Bild von mir bekommen, meine beiden ersten Beiträge zu diesem Thread drückten nicht meine tatsächliche Meinung aus (um es mal vorsichtig zu formulieren).
icon_biggrin.gif
<HR></BLOCKQUOTE>

Dacht schon!
icon_biggrin.gif
icon_biggrin.gif
 
Registriert
4 Sep 2003
Beiträge
1.102
@ Dompfaff
Naja, auch ich kenne "das Ausland" und ich finde es auch eher lustig wenn Menschen einen "blinden" Patriotismus an den Tag legen, also z.B. einfach davon überzeugt sind das ihr Land das beste sei. Was ich sagen will ist, dass wenn zum Beispiel die Amerikaner ein Extrem bilden, sind wir in Deutschland das genaue gegen-Extrem. Beides kann nicht gut sein.
//Ende der Nationalitätsdebatte, wir sind hier schliesslich im Jäger-Forum
icon_smile.gif


@ feuerlein

<BLOCKQUOTE><font size="1" face="Verdana, Arial">Zitat:</font><HR> So manches "Brauchtum" kommt in einer modernen Kleinstadt auf dem Lande schon als hochbizarr und würdelos rüber.
<HR></BLOCKQUOTE>
Das stimmt. Manche Bräuche haben wirklich ein würdeloses Element an sich. Das liegt meiner Erfahrung nach allerdings zum einen daran, dass die Brauchtumspfleger sich garnicht mehr über den Sinn solcher Bräuche im klaren sind, und zum anderen daran dass solche Dinge im Auge des Betrachters liegen.
Nimm z.B. die Rituale von irgendwelchen Stämmen in Afrika. Die Jungs tanzen Nackt ums Feuer mit bemalten Gesichter und fühlen sich dabei verbunden und stark, und wir sehen das im Fernsehen und lächeln ob der Primitivheit dieser Menschen.


<BLOCKQUOTE><font size="1" face="Verdana, Arial">Zitat:</font><HR> Du hast ja schon selbst gesagt, daß Teile des Brauchtums überkommen sind(Jägerschlag, Jagdgericht, Ärmel hoch, all die netten Brüchlein und Signale...), man drauf verzichten mag. Um die Würde geht`s doch. Also sind nur Dinge wie das Verblasen der Strecke bei Gesellschaftsjagden noch allgemeinverbindlich und erhaltenswert.
<HR></BLOCKQUOTE>
Verbindlich ist garnix, auch nicht das Verblasen der Strecke.
Man soll niemanden zwingen bestimmte Rituale einzuhalten, wenn sie keinen praktischen Grund haben. Allerdings muss sich auch niemand wundern wenn er nicht mehr zu Gesellschaftsjagden eingeladen wird, weil er immer über die Strecke springt und sich auch sonst an keine Konvention hält.
 

Neueste Beiträge

Online-Statistiken

Zurzeit aktive Mitglieder
172
Zurzeit aktive Gäste
523
Besucher gesamt
695
Oben