Nach dem Regen
Die letzten schweren Tropfen fallen vom Himmel, als ich leise die Autotür einhake und mich mit Rucksack, Glas und Büchse auf den Weg mache. Den ganzen Vormittag hatte es gegossen, dass die Dachrinnen überliefen und es so finster wie im Spätherbst war. Aber jetzt, am Nachmittag, hat der Wettergott ein Einsehen, und auch die Vögel scheinen das zu wissen und singen dem abziehenden Gewitter hinterher. Der Waldboden dampft, und die Sonne ist kurz vor dem Durchbrechen – welcher Jäger hält es da noch drinnen aus?
Ich bin kaum 100 Meter auf dem Waldweg unterwegs, da kreuzt eine Blindschleiche meinen Weg. Etwas unterkühlt wirkt sie schon noch und hat sich unter der Schutzhütte am Wegrand das einzige trockene Plätzchen gesucht, das heute noch zu haben ist. Aber jetzt macht sie sich auf den Weg auf zu den ersten wärmenden Sonnenstrahlen, die inzwischen in den Altholzbeständen auf den Waldboden fallen. Soll sich das Rehwild doch ein Vorbild daran nehmen und die ungemütlichen tropfenden Dickungen verlassen, denke ich. Schnell noch ein Foto von meinem ersten „Anblick“ heute…
[attachment=1:29bvcnhb]Blindschleiche.JPG[/attachment:29bvcnhb]
… und weiter! Mein Ziel ist eine Leiter in einem großen Altholz – dahinter eine Dickung aus Buche und Weißtanne, links davon eine dichte Naturverjüngung. Eine richtige „Festung“ für das Rehwild, in der es völlig ungestört ist und die es nur bei passendem Wetter verlässt.
Die letzten 300 Meter vor der Leiter haben es in sich. Nachdem ich den Waldweg verlassen habe, muss ich ganz nah an der Verjüngung vorbei. Das geht nur im Schneckentempo und mit äußerster Vorsicht. Vom Regen verwaschene Rehfährten und eine Fegestelle zeigen mir, dass der Hausherr hier nicht weit sein kann. Da kann eine unbedachte Bewegung oder ein brechender Zweig schon zu viel sein. Zum Glück überdecken das laute Vogelkonzert und die herunterklatschenden Tropfen kleinere Geräusche – gut für den Jäger, schlecht für den Gejagten. Nach einer gefühlten Ewigkeit im Schleichgang ist es endlich geschafft – ich habe unbemerkt die Leiter erreicht und von oben einen guten Blick in die grüne Buchenhölle um mich herum.
Kaum zehn Minuten später bricht die Sonne mit voller Kraft durch und verwandelt die Tropfen in glitzernde Kristalle, die mit dem jungen Buchenlaub und feuchten Spinnweben um die Wette leuchten. Der Waldboden duftet, und ich lehne mich entspannt zurück.
Aber nicht lange. Denn hinter mir hat es leise geknackt. Schwer zu hören, aber eindeutig. Vorsichtig drehe ich den Kopf und sehe im ersten Moment – nichts. Da muss das Glas helfen. Und tatsächlich: In 120 Meter Entfernung, hinter einem Berg von Totholz am Rand der Dickung eine Bewegung. Rehwild. Vorderläufe und Trägeransatz schon rot verfärbt, schwach im Wildbret. Schmalreh? Als das Stück kurz aufwirft, mache ich mit Mühe zwei winzige Knöpfe im Bast aus. Ein schwacher Jährlingsbock also.
Einen kurzen Moment lang zögere ich, und mir kommt die Fegestelle von vorhin in den Sinn. Soll ich diesen Jährling gleich jetzt erlegen? Der ganzen Stimmung ihren Zauber und mir selbst die Chance auf den Platzbock nehmen? Die Antwort lautet: Ja. Denn es ist Mitte Mai, und die Bejagung schwacher einjähriger Stücke hat jetzt einfach Vorrang.
Schnell habe ich den Knopfbock im Absehen, aber ein Schuss ist noch nicht möglich. Vom Boden ragen tote Äste auf und verdecken das Blatt. Von oben hängt mir ein vom Regen schwerer Zweig in die Schussbahn und macht das Ganze auch nicht leichter. Es dauert fast eine Viertelstunde, bis alles passt und ich frei von Hindernissen hinter dem Blatt anhalten kann. Langsam den Druck auf den Abzug verstärken, vom Knall überraschen lassen… da bricht auch schon der Schuss, und das Böckchen versinkt wie vom Blitz getroffen im Bewuchs. Schnell lade ich nach und bleibe zur Sicherheit auf dem Ziel, aber dort drüben rührt sich nichts mehr.
Ich will die Büchse gerade absetzen, da trifft es mich wie ein Schlag. Aus den Augenwinkeln nehme ich links von mir eine Bewegung wahr. Noch ein Stück Rehwild, gut 250 Meter, hochflüchtig – direkt auf mich zu! Ein Bock mit hohen, voll gefegten und gut vereckten Stangen, das erkenne ich auch ohne Glas. Ein paar Sekunden später ist er auf kurze Schussentfernung heran. Mit einem lauten Schrecken bringe ich ihn kurz zum Verhoffen und habe jetzt vielleicht noch zwei, drei Sekunden. Auf 60 Meter reißt die .308 den Bock von den Läufen. Nachladen, ein kurzes Schlegeln noch, Ruhe.
Die Vögel zwitschern, als wäre nichts gewesen, während ich etwas fahrig die beiden Hülsen aufsammele und versuche, mir einen Reim auf das Ganze zu machen. Mein erstes Waidmannsheil muss wohl wie ein Hebeschuss gewirkt und den Platzbock irgendwo in dem unübersichtlichen Gelände auf die Läufe gebracht haben. Das dumpfe Echo in der Talsohle hat es ihm wahrscheinlich unmöglich gemacht, Schuss und Gefahr richtig zu orten, und so hat ihn seine Flucht direkt vor meine Büchse geführt. War es so? Oder doch ganz anders? Ich weiß es nicht. Sicher ist nur, dass es jetzt Zeit für die rote Arbeit ist.
Nachdem die getan ist, sitze ich noch lange neben den beiden Waldböcken. Unterschiedlicher könnten sie kaum sein: Hier der schwache Knopfer im Bast, gerade einmal 9 kg aufgebrochen. Und gleich daneben der Sechser, 17 kg schwer und nach dem Zahnabschliff vierjährig.
[attachment=0:29bvcnhb]Bockjagd.JPG[/attachment:29bvcnhb]
Als ich mit den beiden Böcken den Heimweg antrete, schaukelt am Abendhimmel eine Schnepfe vorbei. Die Luft ist wunderbar frisch und der Rucksack angenehm schwer.
Feste muss man feiern, wie sie fallen.
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Ein kräftiges Waidmannsheil an alle Bockjäger,
Walker
Die letzten schweren Tropfen fallen vom Himmel, als ich leise die Autotür einhake und mich mit Rucksack, Glas und Büchse auf den Weg mache. Den ganzen Vormittag hatte es gegossen, dass die Dachrinnen überliefen und es so finster wie im Spätherbst war. Aber jetzt, am Nachmittag, hat der Wettergott ein Einsehen, und auch die Vögel scheinen das zu wissen und singen dem abziehenden Gewitter hinterher. Der Waldboden dampft, und die Sonne ist kurz vor dem Durchbrechen – welcher Jäger hält es da noch drinnen aus?
Ich bin kaum 100 Meter auf dem Waldweg unterwegs, da kreuzt eine Blindschleiche meinen Weg. Etwas unterkühlt wirkt sie schon noch und hat sich unter der Schutzhütte am Wegrand das einzige trockene Plätzchen gesucht, das heute noch zu haben ist. Aber jetzt macht sie sich auf den Weg auf zu den ersten wärmenden Sonnenstrahlen, die inzwischen in den Altholzbeständen auf den Waldboden fallen. Soll sich das Rehwild doch ein Vorbild daran nehmen und die ungemütlichen tropfenden Dickungen verlassen, denke ich. Schnell noch ein Foto von meinem ersten „Anblick“ heute…
[attachment=1:29bvcnhb]Blindschleiche.JPG[/attachment:29bvcnhb]
… und weiter! Mein Ziel ist eine Leiter in einem großen Altholz – dahinter eine Dickung aus Buche und Weißtanne, links davon eine dichte Naturverjüngung. Eine richtige „Festung“ für das Rehwild, in der es völlig ungestört ist und die es nur bei passendem Wetter verlässt.
Die letzten 300 Meter vor der Leiter haben es in sich. Nachdem ich den Waldweg verlassen habe, muss ich ganz nah an der Verjüngung vorbei. Das geht nur im Schneckentempo und mit äußerster Vorsicht. Vom Regen verwaschene Rehfährten und eine Fegestelle zeigen mir, dass der Hausherr hier nicht weit sein kann. Da kann eine unbedachte Bewegung oder ein brechender Zweig schon zu viel sein. Zum Glück überdecken das laute Vogelkonzert und die herunterklatschenden Tropfen kleinere Geräusche – gut für den Jäger, schlecht für den Gejagten. Nach einer gefühlten Ewigkeit im Schleichgang ist es endlich geschafft – ich habe unbemerkt die Leiter erreicht und von oben einen guten Blick in die grüne Buchenhölle um mich herum.
Kaum zehn Minuten später bricht die Sonne mit voller Kraft durch und verwandelt die Tropfen in glitzernde Kristalle, die mit dem jungen Buchenlaub und feuchten Spinnweben um die Wette leuchten. Der Waldboden duftet, und ich lehne mich entspannt zurück.
Aber nicht lange. Denn hinter mir hat es leise geknackt. Schwer zu hören, aber eindeutig. Vorsichtig drehe ich den Kopf und sehe im ersten Moment – nichts. Da muss das Glas helfen. Und tatsächlich: In 120 Meter Entfernung, hinter einem Berg von Totholz am Rand der Dickung eine Bewegung. Rehwild. Vorderläufe und Trägeransatz schon rot verfärbt, schwach im Wildbret. Schmalreh? Als das Stück kurz aufwirft, mache ich mit Mühe zwei winzige Knöpfe im Bast aus. Ein schwacher Jährlingsbock also.
Einen kurzen Moment lang zögere ich, und mir kommt die Fegestelle von vorhin in den Sinn. Soll ich diesen Jährling gleich jetzt erlegen? Der ganzen Stimmung ihren Zauber und mir selbst die Chance auf den Platzbock nehmen? Die Antwort lautet: Ja. Denn es ist Mitte Mai, und die Bejagung schwacher einjähriger Stücke hat jetzt einfach Vorrang.
Schnell habe ich den Knopfbock im Absehen, aber ein Schuss ist noch nicht möglich. Vom Boden ragen tote Äste auf und verdecken das Blatt. Von oben hängt mir ein vom Regen schwerer Zweig in die Schussbahn und macht das Ganze auch nicht leichter. Es dauert fast eine Viertelstunde, bis alles passt und ich frei von Hindernissen hinter dem Blatt anhalten kann. Langsam den Druck auf den Abzug verstärken, vom Knall überraschen lassen… da bricht auch schon der Schuss, und das Böckchen versinkt wie vom Blitz getroffen im Bewuchs. Schnell lade ich nach und bleibe zur Sicherheit auf dem Ziel, aber dort drüben rührt sich nichts mehr.
Ich will die Büchse gerade absetzen, da trifft es mich wie ein Schlag. Aus den Augenwinkeln nehme ich links von mir eine Bewegung wahr. Noch ein Stück Rehwild, gut 250 Meter, hochflüchtig – direkt auf mich zu! Ein Bock mit hohen, voll gefegten und gut vereckten Stangen, das erkenne ich auch ohne Glas. Ein paar Sekunden später ist er auf kurze Schussentfernung heran. Mit einem lauten Schrecken bringe ich ihn kurz zum Verhoffen und habe jetzt vielleicht noch zwei, drei Sekunden. Auf 60 Meter reißt die .308 den Bock von den Läufen. Nachladen, ein kurzes Schlegeln noch, Ruhe.
Die Vögel zwitschern, als wäre nichts gewesen, während ich etwas fahrig die beiden Hülsen aufsammele und versuche, mir einen Reim auf das Ganze zu machen. Mein erstes Waidmannsheil muss wohl wie ein Hebeschuss gewirkt und den Platzbock irgendwo in dem unübersichtlichen Gelände auf die Läufe gebracht haben. Das dumpfe Echo in der Talsohle hat es ihm wahrscheinlich unmöglich gemacht, Schuss und Gefahr richtig zu orten, und so hat ihn seine Flucht direkt vor meine Büchse geführt. War es so? Oder doch ganz anders? Ich weiß es nicht. Sicher ist nur, dass es jetzt Zeit für die rote Arbeit ist.
Nachdem die getan ist, sitze ich noch lange neben den beiden Waldböcken. Unterschiedlicher könnten sie kaum sein: Hier der schwache Knopfer im Bast, gerade einmal 9 kg aufgebrochen. Und gleich daneben der Sechser, 17 kg schwer und nach dem Zahnabschliff vierjährig.
[attachment=0:29bvcnhb]Bockjagd.JPG[/attachment:29bvcnhb]
Als ich mit den beiden Böcken den Heimweg antrete, schaukelt am Abendhimmel eine Schnepfe vorbei. Die Luft ist wunderbar frisch und der Rucksack angenehm schwer.
Feste muss man feiern, wie sie fallen.
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Ein kräftiges Waidmannsheil an alle Bockjäger,
Walker