Mit Interesse folge ich der Diskussion hier in den letzten Stunden.
Ich arbeite als onkologisch tätiger Arzt in einer leitenden Funktion in Berlin. In dieser Eigenschaft bin ich nicht nur als Jäger sowie Jagdleiter, als ganz normaler Bürger sondern auch beruflich betroffen.
Die hier in Berlin wirksamen Kräfte als Garant täglich neuer Spitzenwerte an Neuerkrankten zu erreichen wurden weiter oben benannt. Neben den inzwischen ganze Stadtteile hier kulturell dominierenden Gruppen und ihrer, jenseits von erwarteten Transferzahlungen, unserer abendländischer Kultur und Moral durch bestenfalls noch demonstrative Ignoranz "verbundenen" Bevölkerungsgruppen sind das jedoch auch "unsere" brachial-hedonistisch orientierten "Party-People". Und dabei auch besonders Menschen, für die bereits vorher die in diesen Gruppen demonstrativ zur Schau getragene Ignoranz gegenüber einer möglichen HIV Übertragung ("barebacking") zum "guten Ton" gehört(e).
In bestimmten Grenzen gehören (auch) diese Menschen zu Berlin. "Jeder nach seiner Facon", wie es einmal hieß.
Aber aktuell schaffen es Menschen durch ihr Risikoverhalten, indem sie hier irgendwelche Großhochzeiten feiern oder Fetisch-Parties, indem sie unter prekären Wohnbedingungen leben (müssen) etc das die Zahlen massiv steigen. Das Alte wieder isoliert werden, das Kinder in der Schule mehr mit Schutzmaßnahmen denn mit Unterrichtsinhalten konfrontiert werden, dass Menschen um ihre wirtschaftliche Existenz bangen oder diese schon verloren haben, dass das Leben, so wie wir es schätzen gelernt haben, ins Stocken und Taumeln gerät. Und viele auf vieles verzichten müssen.
Jeden Tag bekommen wir die neuen Corona-Zahlen von den Intensivstationen präsentiert. Versteht Ihr eigentlich, dass die hier so oft als Beleg für die Harmlosigkeit der Covid Infektion angeführte, niedrige Mortalität vor allem auf genau dieser, bis dato mehr als suffizienter Intensivbettenkapazität in Deutschland beruht?
Stellt Euch das so vor, wie einen sehr stabilen Airbag bei einem Sportwagen oder ein Sicherheitsnetz unter der Seiltänzerin. Solche Sicherheitssysteme und zumal solche gut ausgestatteten wie das unsere hier als Beleg für die vermeintliche "Gutartigkeit" einer Erkrankung oder das niedrige Risiko eines fast schon einkalkulierten Unfallsgeschehens heran zu ziehen, ist absurd.
Ich gebe zu, dass ich im März 2020, zu Beginn der ersten Welle in Europa noch relativ skeptisch war, ob das nicht alles sehr aufgebauscht wäre mit der Covid Pandemie.
Habe daher, einen mir durch Forschungsprojekte gut bekannten Kollegen in Bergamo angerufen um mir seine Erfahrungen beschreiben zu lassen und eigentlich vor allem auch um Rückschlüsse für die Behandlung meiner TUmorpatienten zu gewinnen.
Als ich ihn endlich am Telefon hatte, fiel mir sofort die bedrückte Stimme des ansonsten eher coolen und lebensfrohen Kollegen auf. Er hatte grade wieder alte Patienten mit eher wenig Aussicht auf Genesung von der Rettungstelle heraus zurück auf den Parkplatz zu ihren Autos begleitet. "Triagiert" wurde dort schon seit eineinhalb Wochen, weil die Intensivstationen übervoll waren. Das die Patienten mit einer "ausreichend" hohen Dosis Opioiden zurück zu ihren Autos geschickt wurden, teilweise nachhause, dass sie dort einfach ihrem Schicksaal zu ersticken überlassen werden mussten...das sie alle paar Tage die parkenden Autos auf dem Parkplatz nach Verstorbenen absuchen müssten etc...
Das er sich nicht mehr um seine Krebspatienten kümmern könne, weil diese die Klinik nicht mehr erreichen würden und vieles mehr.
Hier mal ein Bild der Todesanzeigen von Mitte März 2020 aus der Lokalzeitung "L' Eco die Bergamo" das ich im Tagesspiegel gesehen habe (
https://www.tagesspiegel.de/politik...ehn-seiten-todesanzeigen-druckt/25651970.html):
Ich konnte es zunächst nicht fassen und doch bestätigte sich vieles von dem was er mir sagte durch die Kontakte weiterer Kollegen in die Region und später auch durch die Berichte weiterer Kollegen in Spanien, die ähnliches erleben mussten.
Auch wir hier in Deutschland sind davor nicht gefeit - wie gesagt, die Patienten bei uns sind vom Profil her keine anderen als die Corona-Patienten sonstwo auf der Welt, nur wir können sie aktuell noch ganz exzellent versorgen und viele retten.
Aber das im Frühjahr benutze Bild der Abflachung der Kurve gilt noch heute! Wenn zu viele Menschen gleichzeitig ins oben verwendete Bild des Sicherheitsnetzes plumpsen, dann reisst es irgendwann.
Ja, ich wäre nur allzugerne bei der alljährlichen Reihe der Gesellschaftsjagden in meiner Region und darüber hinaus dabei gewesen. Hätte Freunde getroffen, mit gejagt, nachgesucht, hätte meine eigene große Jagd als Gastgeber durchgeführt mit allem was das Jagen und Leben lebenswert macht.
Zugegeben: Das Risiko sich unter freiem Himmel anzustecken ist vergleichsweise gering, aber von den ersten Herbst-Jagden dieses Jahres sieht man Menschen, die trotz allen Ansagen fröhlich quatschend dicht zusammen stehend, Pulle aus dem Rucksack gezaubert, ..als ob es keinen Aerosolnebel gäbe.
Und es war bitter, dass jetzt alles bzw. vieles absagen zu müssen und das möglicherweise nicht nur dieses Jahr.
Aber, sind wir hier nicht auch etwas wehleidig ? Wie war das bei den Jägern vorheriger Generationen wenn die mal ihren Dienst am Land und der Gesellschaft leisten mussten ?
Die Veranstalter der am WE von Ordnungskräften geräumten "Was-auch-immer-Party", kommentierten die Räumung übrigens pikiert "Die Veranstaltung diente als Treffpunkt der Community und hatte mit dem körperlichen Charakter einer Fetischparty keine Parallelen. Wir bedauern, dass skandalierende Sprachbilder genutzt werden um Empörung zu erregen. Es ist zudem bedauerlich, dass eine Veranstaltung fernab der heteronormativen Gesellschaft genutzt wurde, um gezielt mit Halbwahrheiten das erlaubte öffentlich zu kriminalisieren.“
Ich würde mir wirklich wünschen, wenn wir uns jetzt mehr oder minder zähneknirschend nochmals zusammen reißen und die vor uns liegenden, äußerst herausfordernden Monate solidarisch irgendwie zu meistern versuchen und die Menschen unter uns, die dem Virus nichts oder nur sehr wenig entgegen zu setzen haben und eine Überfüllung der Intensivmedizin am ehesten mit dem Leben bezahlen würden, bestmöglich zu schützen.
Wir Jäger sollten uns hier einmal mehr als eine verantwortungsvolle gesellschaftliche Gruppe beweisen.
Im Wald und auf der Heide geht, wie wir seit Jahrhunderten wissen, das Leben unabhängg von dem Wohl und Wehe der Menschen weiter. Und es wird wieder Möglichkeiten zur Jagd geben, mit Freunden, mit Hörnerklang und Schüsseltreiben, mit Singen und Strecke legen, wie viele sie schätzen und sich das ganze Jahr schon darauf freuen.
Aber zumindest ich würde mich sehr freuen, wenn dann wieder viele der alten Jäger dabei wären, gesund und lebendig, grünes Garn spinnen und auch mich, der dieses Jahr das halbe Hundert an Lebensjahren voll macht, immer wieder aufs Neue mit ihren Gedanken inspirieren. Ich möchte sie nicht missen....